Der Ärgermacher oder Wer hat Angst vor Jochen A.
Simone Rosskamp, film-dienst, Nr. 9, 29.04.2004
Die von Hermann Hesse und Robert Musil hat er schon, jetzt will er auch noch die von Franz Kafka. Jochen Anthrazit sammelt Knochen, vorzugsweise die großer Schriftsteller und Intellektueller – von denen er selbst einer zu sein glaubt. Leider steht er mit dieser Ansicht ziemlich alleine da. Alle Verlage haben seinen großen Wurf, den Roman "Note 6", abgelehnt, keiner sein Talent erkannt. Deshalb startet er den größten Leichenschänder-Coup der Literaturgeschichte: Mit den Gebeinen der drei im Gepäck, erpresst er die Bundesrepublik Deutschland. Seine Forderung: Ein Verlag soll sein Buch heraus bringen, in hunderttausendfacher Auflage. Schade nur, dass das Kultusministerium zu wenig Geld hat, um die sterblichen Überreste der Superliteraten auszulösen. Dort ist man so pleite wie der ganze restliche deutsche Kulturbetrieb.
Anthrazit setzt daraufhin auf andere waghalsige Erpressungsversuche, allesamt angesiedelt zwischen krimineller und künstlerischer Energie, denn seine Aktionen gleichen avantgardistischen Performances. Mal frisiert er Spenden in der Samenbank mit eigenem Erbmaterial, um seinen Genius fortzupflanzen; mal zwingt er mit vorgehaltener Pumpgun die Angestellten eines Multimedia-Shops, ihren eigenen Arbeitgeber auszurauben. Sein Ziel: der dabei gedrehte Kurzfilm soll abends in die deutschen Haushalte flimmern. Gut, dass es Ede Zimmermann und seine Verbrecher-Show "X & Y" gibt. Der strahlt das Video in seiner Sendung aus und begleitet Anthrazit so auf seinem Feldzug gegen den deutschen Kulturbetrieb. An den Tatorten hinterlässt das verkannte Genie einzelne Manuskriptseiten seines Buches. Die heißeste Spur für seine Verfolger, die ihm schon bald auf den Fersen sind. Der Oberinspektor, selbst glühender Hesse-Verehrer, gründet die Soko "Siddharta", um den Kultur-Erpresser zu stoppen. Vorsorglich lässt er die Gräber von Brecht, Goethe und Schiller bewachen. Er engagiert sogar den Kritiker-Guru Marcel Reich-Ranicki, um Anthrazit ein für alle Mal klar zu machen, dass seine Literatur nichts taugt. Doch Anthrazit macht weiter Ärger. Mit dem Mut der Verzweiflung plant er den ultimativen Stich ins Herz der deutschen Gesellschaft. Beim Länderspiel England gegen Deutschland kidnappt er Stefan Effenberg, treibt ihn mit einem Ring aus Dynamit um den Kopf übers Spielfeld und droht, Effenbergs torgefährliche Achillessehne zu durchtrennen.
"Der Ärgermacher" ist eine Satire. Auf die Mediengesellschaft, auf die Ignoranz des deutschen Kulturbetriebs und die Resignation der Menschen, die in ihr leben. Aber auch auf den Protagonisten selbst, der sein Heil einzig in der Anerkennung durch diese Gesellschaft sieht, die er doch so tief verabscheut. Anthrazit ähnelt in diesem Kampf ganz seinem literarischen Vorbild. Er ist selbst ein kafkaesker Held, ein trauriger Star der Vergeblichkeit. Er haust in einem Hotelzimmer zwischen Aktenordner und Papierbergen, lässt ständig pseudo-intellektuelle Sätze fallen, die in ihrem lakonischen Tonfall an Woody Allen erinnern. Diese Reminiszenz gipfelt in einer Szene, die direkt aus "Der Stadtneurotiker" (fd 20 385) entlehnt ist. "Du musst das probieren, wenn du schreiben willst", sagt eine Freundin angesichts des weißen Pulvers auf dem Tisch. Anthrazit schnieft – jedoch kein Kokain, sondern die zermahlenen Knochen seiner Autorengötter. Stilistisch orientiert sich der Film jedoch eher an einem anderen Genre, dem des Film Noir. Er ist schwarz-weiß, spielt ausgiebig mit Chiaroscuro-Effekten, zeigt angeschnittene Perspektiven und bringt Kommentare des Protagonisten aus dem Off. Anthrazit ist ein postmoderner Kultur-Terrorist, der dem "clash of civilizations" neue Perspektiven eröffnet. Denn die Zivilisationen prallen nicht mehr nur im Nahen oder Mittleren oder fernen Osten aufeinander, sondern inmitten unserer individualisierten Gesellschaft. Mit einem ähnlichen Motiv hatte auch schon der Alltags-Terrorist Mucks in "Mucksmäuschenstill" gespielt. Trotzdem stellt sich die Frage, ob dieser Zugang ein breites Publikum erreichen kann. Oder, um mit den Worten einer Hamburger Band zu sprechen: "Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit."