Annelie Thorndike
Annelie Kunigk wurde am 17. April 1925 in Klützow (heute: Kluczewo, Polen) geboren und wuchs in der Nähe von Stargard in Pommern auf. 1944 machte sie ihr Examen an einer Pädagogischen Hochschule und baute im Februar 1945 als Lehrerin die zerstörte Schule in Penzlin, Mecklenburg, wieder auf. 1946 trat sie in die SED ein und wurde im Jahr darauf, mit gerade einmal 22 Jahren, Schulrätin. 1949 war Kunigk Gründerin und Leiterin der Zentralschule 'Martin Andersen-Nexö' in Penzlin.
1950 lernte sie den Filmemacher Andrew Thorndike kennen, der in Penzlin Aufnahmen für den Dokumentarfilm "Der Weg nach oben" drehte. Ab 1952 arbeiteten die beiden zusammen, im Jahr darauf heirateten sie. Als erster gemeinsamer Film entstand der Dokumentarfilm "Die Prüfung" (DDR 1952), nach einem Drehbuch Annelie Kunigks, welches auf ihren Erfahrungen als Pädagogin beruhte: Der Film berichtete über die Abschlussprüfung an einer Grundschule; als einer der ersten DEFA-Dokumentarfilme wurde dabei Originalton eingesetzt. Bei "Die sieben vom Rhein" (DDR 1954) zeichnete Annelie Thorndike mit ihrem Mann erstmals auch als Regisseurin verantwortlich. Der Film schilderte den Besuch von sieben Arbeitern aus dem Ruhrgebiet in der DDR; dabei blieb in der Inszenierung stets deutlich, dass sie in der DDR die besseren Bedingungen für die Arbeiterschaft vorfanden.
1954 begannen die Thorndikes mit der mehrjährigen Arbeit an "Du und mancher Kamerad": Mit Material aus dem ehemaligen Reichsfilmarchiv und ausländischen Archiven sowie Wochenschau-Ausschnitten zogen sie darin eine stark thesenhafte Entwicklungslinie vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die Nazizeit zur Bundesrepublik; daneben wurden einige historische Szenen nachgestellt. Auch in diesem Film übten die SED-linientreuen Thorndikes massive Kritik an der BRD, insbesondere am Weiterbestehen der großen Konzerne und den Karrieren einstiger Nazigrößen. "Du und mancher Kamerad" kam 1956 in die Kinos und avancierte zu einem der erfolgreichsten und berühmtesten Dokumentarfilme der DEFA, auch über die Grenzen der DDR hinaus.
In ihrer Filmreihe "Archive sagen aus" setzten die Thorndikes ihre Mischung aus Attacke gegen und Enthüllungen über die BRD fort: In "Urlaub auf Sylt" (DDR 1957) entlarvten sie den CDU-Bürgermeister von Westerland, Dr. Hans Reinefarth, als ehemaligen SS-Führer und "Schlächter von Warschau"; ihr Film "Unternehmen Teutonenschwert" (DDR 1958) warf dem Nato-General Dr. Hans Speidel unter anderem Kriegsverbrechen in der Sowjetunion sowie eine Beteiligung an den Morden am jugoslawischen König Alexander I. sowie dem französischen Außenminister Barthou im Jahre 1934 vor. Beim Filmfestival in Karlovy Vary wurde "Unternehmen Teutonenschwert" mit dem Hauptpreis ausgezeichnet.
Von 1959 bis 1963 arbeiteten die Thorndikes an "Das russische Wunder", einer Chronik der Sowjetunion seit der Revolution. Das fertige Werk, das einen Bogen von Lenin bis Gagarin spannte, wurde in zwei jeweils zweistündige Filme aufgeteilt. Der erste Teil schilderte vor allem die historische Entwicklung des Landes und wurde weitestgehend begeistert aufgenommen; der zweite Teil hingegen erntete wegen seiner vereinfachenden Darstellungen mitunter heftige Kritik. Dennoch wurde der Zweiteiler auch international ein gewaltiger Erfolg. Zu dem Film erschien ein aufwändiger Bildband, für den Annelie Thorndike die Fotos zusammengestellt hatte. Das Buch wurde in insgesamt 20 Sprachen übersetzt. Zur selben Zeit, 1963, wurde Annelie Thorndike als Abgeordnete in die Volkskammer gewählt. Ab 1967 war sie Vorstands- und ab 1980 Präsidiumsmitglied des von ihrem Mann gegründeten Verbands der Film- und Fernsehschaffenden der DDR ("DEFA-Gruppe 67").
1968 begann das Ehepaar mit der Arbeit an einem weiteren Großprojekt: Bei "Du bist min. Ein deutsches Tagebuch" übernahmen sie allerdings vor allem die künstlerische Leitung und delegierten die Regie weitgehend an Michael Englberger, Hans-Joachim Funk und Manfred Krause. "Du bist min. Ein deutsches Tagebuch" entstand nach Tagebüchern Annelie Thorndikes, die auch selbst im Film auftrat, und war als Liebeserklärung an ihre Heimat gedacht. Das Film-Poem wurde im 70mm-Format gedreht und 1969 beim Moskauer Filmfestival mit dem Spezialpreis der Jury geehrt. Von der Kritik wurde der Film jedoch eher negativ besprochen.
Anfang der 1970er Jahre realisierten die Thorndikes mehrere "kleinere" Dokumentarfilme ("Mein ganzes Leben lang. Hermann Dünow berichtet aus seinem Leben", DDR 1971; "Hier Deutsche Volkspolizei", DDR 1972). Privat kam es zu dieser Zeit zur Scheidung. Beruflich aber setzten sie ihre fruchtbare Zusammenarbeit fort, die Andrew Thorndike einige Jahre zuvor wie folgt charakterisierte: "Es hat sich von Anfang an ergeben, dass ihre Neigung mehr dem Wort gehört, der literarischen Seite, dem Kommentar, der Arbeit mit dem Ton, der Synchronisation. Andererseits stellte sich heraus, dass Montage und Musik zu meinem Bereich gehören. Das heißt, wir arbeiten getrennt. Es hat so etwas wie eine Spezialisierung eingesetzt, die natürlich von Fall zu Fall Veränderungen und Verschiebungen zeigt".
1974 nahmen die beiden wieder ein mehrjähriges und inhaltlich höchst ambitioniertes Projekt in Angriff, wobei Annelie zumindest offiziell allerdings nur den Kommentar beisteuerte. "Die Alte Neue Welt" (DDR 1974-1977) eröffnete mit dem Satz: "Der Planet Erde ist Schauplatz dieses Films. Vier Milliarden Menschen bewohnen ihn. Woher sind sie gekommen – wohin gehen sie?". Einerseits war diese "filmische Weltbetrachtung" von abstrakter und philosophischer Natur, andererseits ließen die Filmemacher an ihrer marxistischen Interpretation des Weltenlaufs keinen Zweifel. Zwar wirkte "Die Alte Neue Welt" nicht allzu plump-propagandistisch, gleichwohl kann man die abschließende Aussage des Films heute als längst überholt betrachten: "Vor sechzig Jahren beginnt die Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus. Vor sechzig Jahren hat der Mensch begonnen, die Schwelle zu überschreiten, die vom Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit führt."
In den folgenden Jahren produzierte Annelie Thorndike nur noch vereinzelt kleinere Dokumentarfilme und schloss sich der DEFA-Gruppe Kinobox an. 1985 realisierte sie als Regisseurin und Drehbuchautorin den Kurz-Dokumentarfilm "Aufbruch", über die Zerstörung und den Wiederaufbau Dresdens. Zwei Jahre später folgte mit "Alle Ideen beginnen als Traum" (DDR 1987) ihr letzter Film, ein Porträt des Physikers Prof. Dr. Heiner Vollstädt, der als Mineraloge die DDR-Volkswirtschaft unterstützte, indem er Industriediamanten aus einheimischen Rohstoffen herstellte. Von 1973 bis 1989 war Thorndike Präsidentin des Komitees der Internationalen Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche. Mit der Wende 1989 beendete sie ihre filmischen Tätigkeiten und zog sich auf die Insel Usedom zurück.
Am 26. Dezember 2012 starb Annelie Thorndike in Wolgast bei Usedom.