Hartmut Becker
Hartmut Becker, geboren am 6. Mai 1938 in Berlin und auch dort aufgewachsen, besuchte nach dem Studium der Theaterwissenschaften, der Philosophie und Germanistik an der Freien Universität Berlin die Berliner Schauspielschule von Else Bongers. Sein erstes Bühnenengagement hatte er am Staatstheater Braunschweig (1966-68), gefolgt vom Stadttheater Bielefeld (1968-70), den Münchner Kammerspielen (1970/71) und dem Wiener Theater in der Josefstadt (1971).
Nach ersten Fernsehrollen gab Becker sein Kinodebüt in einer Hauptrolle von Michael Verhoevens Vietnamkriegsdrama "o.K." (1970), über die Entführung, Gruppenvergewaltigung und den Mord an einer jungen Vietnamesin durch amerikanische Soldaten im Jahr 1966. Der Film lief 1970 im Wettbewerb der Berlinale, wo er für einen Skandal sorgte, der schließlich zum Abbruch des Festivals führte. Erneut unter Verhoevens Regie war Becker im darauffolgenden Jahr wieder auf der Berlinale vertreten: In "Wer im Glashaus liebt … Der Graben" spielte er einen Werbeprofi, der mit seiner Frau und seiner Geliebten eine erotische ménage à trois eingeht. Auch dieser Film sorgte für Kontroversen, wurde von feministischer Seite angefeindet und wegen "Obszönität" zeitweise beschlagnahmt.
In den nächsten Jahren wirkte Becker in einigen Fernsehproduktionen mit, etwa in der Titelrolle der Abenteuerserie "John Ralling - Abenteuer um Diamanten" (1975) und in Einzelfolgen von Serien wie "Derrick". Vor allem aber blieb er am Theater erfolgreich aktiv. Zwischen 1971 und 1976 war er in unterschiedlichsten Inszenierungen am Bayerischen Staatsschauspiel München zu sehen. Für seine Verkörperung des Mercutio in "Romeo und Julia" wurde er 1974 mehrfach ausgezeichnet. Die Zeitschrift Theater Heute kürte ihn 1975 zum Besten Nachwuchsdarsteller.
Fürs Kino spielte Becker in der Gesellschaftskomödie "Als Mutter streikte" (1974) den heimlichen Schwarm der Tochter der im Mittelpunkt stehenden Familie; kleinere Rollen hatte er in Michael Verhoevens Krimikomödie "MitGift" und Richard Attenboroughs aufwändigem Kriegsepos "A Bridge Too Far" ("Die Brücke von Arnheim", US/GB 1977). Eine tragende Rolle spielte er in Verhoevens während der Nazizeit spielendem Coming-of-Age-Drama "Sonntagskinder" (1980). Eine bedeutende Fernsehrolle hatte er 1980 in der britischen Produktion "Forgive Our Foolish Ways", über die Liebe zwischen einem deutschen Kriegsgefangenen und einer englischen Schulleiterin (Kate Nelligan).
Aber auch in den 1980er Jahren blieb zunächst das Theater Beckers Hauptbetätigungsfeld. Er trat 1980 bei den Salzburger Festspielen auf, hatte bis 1982 ein Engagement am Schiller Theater Berlin, danach erneut am Bayerischen Staatsschauspiel München (bis 1984), gefolgt vom Berliner Theater am Kurfürstendamm (1984) und dem Renaissancetheater Berlin (1986). Parallel dazu übernahm er gelegentlich Fernsehrollen.
Erst ab Mitte der Achtzigerjahre verlegte Becker sich zunehmend aufs Fernsehen. Eine Hauptrolle spielte er in der amerikanisch-britischen Serie "Jenny's War" (1985), über eine Engländerin, die sich kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in einen deutschen Offizier verliebt. Ein großer Erfolg war anschließend der ebenfalls englischsprachige Fernsehfilm "Escape from Sobibor" ("Flucht aus Sobibor", GB/YU 1987), über das Leben und vor allem den historischen Aufstand in dem deutschen Vernichtungslager Sobibór 1943. Becker verkörperte darin den österreichischen SS-Oberscharführer und stellvertretenden Lagerkommandanten Gustav Wagner. Der Film (und auch Becker) erhielt hervorragende Kritiken sowie zahlreiche Nominierungen für verschiedene Fernsehpreise.
Kinorollen hatte er in Lina Wertmüllers bäuerlicher Familiengeschichte "Il Decimo clandestino" ("Heimlich, still und leise", IT 1989), als deutscher Major in dem KZ-Drama "Triumph of the Spirit" ("Triumph des Geistes", US 1989) mit Willem Dafoe, und als Korporal in Peter Patzaks historischem Drama "Himmel unter Steinen" (DE/AT 1990) über das Leben des Franz-Ferdinand-Attentäters Gavre Princip.
Zwischen 1990 und 2005 sah man Becker ausschließlich in Fernsehrollen und gelegentlich auf der Theaterbühne. Er übernahm zahllose Gastrollen in so unterschiedlichen Serien wie "Ein Fall für zwei", "Schloßhotel Orth" und "Der Ferienarzt" – um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen: seine TV-Filmografie umfasst weit über 100 Auftritte. Zu seinen bedeutenderen TV-Rollen gehören ein Fürst in Peter Patzaks Psychodrama "St. Petri Schnee" (1991), der Vater von Katharina II. in der internationalen Koproduktion "Die junge Katharina" (CN/US/GB/IT/DE 1991) und ein Kollege der Titelfigur in der Serie "Dr. Stefan Frank - Der Arzt, dem die Frauen vertrauen" (1995-97). In David Dietls dffb-Abschlussfilm "Die Unvergessenen" (2004) gaben er und Dietrich Hollinderbäumer zwei einstige Westernstars, die in der uckermärkischen Provinz tatsächlich zu Outlaws werden.
2005 spielte Becker nach 15 Jahren wieder eine (kleinere) Kinorolle: als Schwiegervater der Hauptfigur in Ulrich Köhlers preisgekrönter Gesellschaftsstudie "Montag kommen die Fenster". Einen weiteren Kinopart hatte er erst elf Jahre später, als Kardinal in dem mehrfach ausgezeichneten Missbrauchsdrama "Verfehlung" (2016).
Von 2007 bis 2012 gehörte Becker dem Vorstand der Deutschen Filmakademie an. Als Synchronsprecher lieh er oft Kris Kristofferson seine Stimme (bis 2012). Seine letzte eigene Rolle in einem Kinofilm war der Vater der unsteten Hauptfigur in Robert Bohrers "Liebesfilm" (2018).
Auch im Fernsehen übernahm Hartmut Becker in den 2010er Jahren nur noch sehr vereinzelte Rollen, zuletzt 2019 in "SOKO Leipzig" und "Lindenstraße". Am 22. Januar 2022 verstarb er im Alter von 83 Jahren in Berlin-Spandau an den Folgen einer Krebserkrankung.