Harry Piel
Harry Piel wurde am 12. Juli 1892 im Düsseldorfer Stadtteil Benrath geboren. Nach seinem Schulabschluss ging er 1909 in Hamburg als Kadett auf ein Segelschulschiff, gab diese Ausbildung jedoch nach sieben Monaten auf. Zurück in Düsseldorf begann er eine Kaufmännische Lehre, die er jedoch auch nicht abschloss.
Stattdessen ging er 1911 nach Paris, um Kunstflieger zu werden. Allerdings war auch dieses Karriereziel nicht von langer Dauer: Durch seinen Pariser Wohnungsgenossen, den Filmregisseur Léonce Perret, erwachte in Piel der Entschluss, Filme zu machen. Nach einer kurzen Hospitanz bei der Gaumont Filmproduktion zog Piel nach Berlin und gründete seine eigene Produktionsfirma, die Kunst-Film-Verlags-Gesellschaft. Mit ihr realisierte er im Frühjahr 1912 in kurzer Folge mehrere Filme. Sein Debüt war der erfolgreiche Krimi "Schwarzes Blut", mit Curt Goetz in der Hauptrolle eines Mörders. Da Piel bei seinen ersten Filmen (und auch später immer wieder) in Personalunion als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent fungierte (später zudem als Darsteller), wurde er von manchen Filmhistorikern als frühes Beispiel eines Autorenfilmers bezeichnet. Seine erste Produktionsfirma gab er allerdings noch im Gründungsjahr wieder auf und begann als Autor und Regisseur für diverse Filmgesellschaften zu arbeiten.
So drehte Piel ab 1915 eine Vielzahl an Filmen, fast durchweg aus dem Genre des Sensations- und Abenteuerfilms. Ein besonderes Merkmal seiner Werke waren aufwändige Actionszenen und explodierende Bauwerke wie Häuser und Brücken – der Grund: ein befreundeter Sprengmeister informierte ihn stets über anstehende Sprengungen, die Piel dann filmte und geschickt in seine Filme einbaute. Diese Vorliebe brachte ihm in der Branche den Beinamen "Dynamit-Regisseur" ein. Aber auch das Publikum sollte durch Harry Piel ins Kino gelockt werden: Sein Name wurde wie ein Markenzeichen für Sensationsfilme über dem Filmtitel genannt – für die damalige Zeit eine ungewöhnliche Hervorhebung des Regisseurs. 1915 gründete er mit der Harry Piel & Co. Berlin erneut eine eigene Produktionsfirma, die er aber schon nach einem Film, "Das verschwundene Los", schließen musste.
Danach arbeitete er wieder für andere Firmen. Wichtige Werke dieser Zeit waren unter anderem sein erster Science-Fiction-Film "Die große Wette" (1915), der Jahre vor "Metropolis" mit dem Maschinenmenschen-Motiv spielte, und "Unter heißer Zone" (1916), der erstmals waghalsige Raubtierszenen enthielt. "Die große Wette" markierte zugleich Piels Debüt als Schauspieler. 1918/19 führte er bei acht "Joe Deebs"-Detektivfilmen Regie, mit Heinrich Schroth in der Hauptrolle.
Mit "Der große Unbekannte" (1919) begann Harry Piel in der Rolle des abenteuerlustigen Tausendsassas "Harry Peel" eine zweite Karriere als Schauspieler. Zeitgleich machte er sich mit der Metro Film einmal mehr als Produzent selbstständig (1921 abgelöst von der Harry Piel Film Co.). In den 1920er Jahren drehte er oft im Ausland und realisierte als einer der ersten deutschen Filmschaffenden Co-Produktionen mit Frankreich (inzwischen mit der Firma von der Hape-Film Co.).
Bald avancierte Piel, der offiziell nie gedoubelt wurde, mit Filmen wie " Die Luftpiraten" (1920), "Der Reiter ohne Kopf" (1921), "Der Mann ohne Nerven" (DE/FR 1924) und " Zigano, der Brigant von Monte Diavolo" (DE/FR 1925) auch international zum Star. 1927 drehte er den Gaunerfilm "Sein größter Bluff", mit Marlene Dietrich als gerissene Diebin und sich selbst in einer Doppelrolle als Zwillingsbrüderpaar. 1928 gründete er mit der Ariel-Film bereits seine fünfte Produktionsfirma, die auch seine langlebigste war: Sie bestand bis zur Verstaatlichung im Jahr 1939.
1930 gelang Piel mit der Doppelgänger-Komödie "Er oder ich" ein müheloser Übergang zum Tonfilm. Zugleich veränderte sich sein filmischer Stil: Wirkten seine Stummfilme oft expressiv und trafen mit ihren exzentrischen Geschichten und dem zuweilen atemlosen Tempo die damalige Stimmung in einem von Arbeitslosigkeit, Inflation und Unruhen geprägten Deutschland, wurde sein Stil mit dem Tonfilm realistischer.
Nach der Machtübernahme der Nazis trat Piel im Mai 1933 der NSDAP bei, um seine Stellung als Produzent zu sichern; später war er zudem förderndes Mitglied der SS. Ebenfalls 1933 inszenierte er den "volkstümlichen" Operettenfilm "Schwarzwaldmädel" (1933). Ansonsten blieb er sich thematisch treu: Er drehte Abenteuerkomödien ("Jonny stiehlt Europa", 1932), Filme utopischen Charakters ("Ein Unsichtbarer geht durch die Stadt", 1933; "Der Herr der Welt", 1934), Krimis ("90 Minuten Aufenthalt", 1936; "Sein bester Freund", 1937), sowie unverfängliche Tierfilme ("Der Dschungel ruft", 1936) und Zirkusdramen ("Artisten", 1935; "Menschen, Tiere, Sensationen", 1938). Trotzdem wurde seine Produktionsfirma 1939 verstaatlicht. Seine vaterländische Tierfänger-Geschichte "Panik" (1940-43) wurde wegen allzu realistischer Darstellungen von Luftangriffen verboten. In Ungnade fiel Piel dadurch aber nicht: 1944, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, setzte Joseph Goebbels ihn auf die "Gottbegnadeten-Liste" jener Künstler, die dem Nazi-Regime wichtig erschienen. Dadurch wurde Piel vor einem Kriegseinsatz bewahrt.
Nach Kriegsende flüchtete er nach Hamburg, wurde aber als "Mitläufer" für sechs Monate inhaftiert und erhielt ein fünfjähriges Berufsverbot. 1950 folgte in Wiesbaden die Neugründung seiner Firma Ariel-Film. Allerdings konnte Piel mit den Filmen "Der Tiger Akbar" (1951) und "Gesprengte Gitter - Die Elefanten sind los" (1953; basierend auf dem Drehbuch zu "Panik") nicht mehr an alte Erfolge anknüpfen; auch künstlerisch fand er keinen Anschluss an den deutschen Nachkriegsfilm. 1960 gab Piel die Firma auf und zog sich endgültig vom Film zurück. Seine Filmografie als Regisseur umfasste zu diesem Zeitpunkt über 100 Titel.
Seinen Lebensabend verbrachte Harry Piel nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau 1960 mit seiner letzten Partnerin Lilli Stromereder in München, wo er, inzwischen verarmt, am 27. März 1963 starb.