Biografie
Marcel Ophuls (gebürtig: Ophüls) wurde am 1. November 1927 in Frankfurt am Main als Sohn des Film- und Theaterregisseurs Max Ophüls und der Schauspielerin Hilde Wall geboren. Nach der Machtübernahme der Nazis im Jahr 1933 war die Familie gezwungen, Deutschland zu verlassen, da ihnen als Juden Verfolgung (und später auch Ermordung) drohte. Zunächst ging es nach Paris, wo Marcel 1938 französischer Staatsbürger wurde, wie seine Eltern auch. 1941, nach der Invasion Deutschlands in Frankreich, flüchtete die Familie über die Schweiz in die USA, wo Max Ophüls im Filmgeschäft Fuß fasste.
Marcel besuchte derweil die Hollywood High School und leistete 1945 Militärdienst bei den US-Besatzungstruppen in Japan; 1950 nahm er neben der französischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Ab welchem Zeitpunkt der Umlaut aus seinem Namen verschwand, ist unklar.
Ophuls studierte am Occidental College in Los Angeles, an der University of California in Berkeley und ab 1951 an der Sorbonne in Paris, wohin auch seine Eltern zurückgekehrt waren. Unter dem Pseudonym "Marcel Wall" (nach dem Geburtsnamen seiner Mutter) arbeitete er als Regie-Assistent unter anderem von John Huston ("Moulin Rouge", GB 1953), Julien Duvivier ("Marianne", FR/DE 1955) und seinem Vater ("Lola Montès", FR 1955).
Von 1956 bis 1959 war er als Hörfunk- und Fernsehredakteur beim Südwestfunk in Baden-Baden tätig, wo er ab 1957 erste Kurzfilme realisierte. 1960 ging er zurück nach Paris und drehte den deutschen Beitrag ("München") zu dem internationalen Episodenfilm "L’Amour à vingt ans", der die Berlinale 1962 eröffnete.
Mit Unterstützung von François Truffaut konnte er 1963 seinen ersten abendfüllenden Spielfilm "Peau de banane" realisieren, mit Jeanne Moreau und Jean-Paul Belmondo in den Hauptrollen. Nach der Eddie Constantine-Komödie "Faites vos jeux, mesdames" (1964) wechselte er zum Dokumentarfilm und arbeitet als Fernsehjournalist, so zum Beispiel bei der Nachrichtensendung "Zoom" (1966-68).
Als Dokumentarfilmemacher befasste er sich mehrfach mit der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg, so zum Beispiel in "Hundert Jahre ohne Krieg - Das Münchener Abkommen von 1938" (FR/DE1967). Als Redakteur beim NDR (1968-71) erarbeitete und realisierte er in Co-Produktion mit dem Schweizer Fernsehen "Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege" (1969), eine 4½-stündige Dokumentation über Kollaboration und Résistance in der französischen Stadt Clermont-Ferrand unter der deutschen Besatzung. In Frankreich und Deutschland stieß der Film auf Widerstand und wurde in Frankreich lange Zeit nicht ausgestrahlt; schlussendlich markierte er dort jedoch einen Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit dem Vichy-Regime.
Ebenfalls beim NDR entstand "Die Ernte von My Lai - Auswirkungen eines Massakers" (1970), über das berühmte-berüchtigte Kriegsverbrechen der US-Armee während des Vietnamkriegs. Als internationale Koproduktion realisierte Ophuls zwischen 1973 und 1976 "The Memory of Justice" (US/DE/GB), über die Nürnberger Prozesse, wobei er unter anderem auch Vergleiche zwischen der US-Politik in Vietnam und den Gräueltaten der Nazis zog. Aufgrund dieser Interpretation kam es zu einem Zerwürfnis mit den britischen Produzenten des Films. Dennoch gelang es ihm, seine Version durchzusetzen: "The Memory of Justice" wurde 1978 im Rahmen der Berlinale präsentiert. Danach galt er lange als verschollen. Auf der Berlinale 2015 wurde eine restaurierte Fassung des fast fünfstündigen Films gezeigt. Doch die juristischen Auseinandersetzungen ließen Ophuls künstlerisch enttäuscht und finanziell angeschlagen zurück, worauf er sich für einige Jahre der Lehrtätigkeit an Universitäten zuwendete.
1981 drehte er als französische Produktion in den USA "Yorktown. Le sens d'une victoire", über die Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag des Sieges des Städtchens Yorktown gegen englische Belagerer während des Unabhängigkeitskriegs. Ein großer Erfolg gelang Marcel Ophuls 1988 mit "Hôtel Terminus: Zeit und Leben des Klaus Barbie" (1988), über das Leben des berüchtigten NS-Kriegsverbrechers. Der Film erhielt in Cannes 1988 den Preis der internationalen Filmkritik, auf der Berlinale 1989 den Friedensfilmpreis der Heinrich-Böll-Stiftung und bei den Oscars 1989 die Auszeichnung als Bester Dokumentarfilm.
Für "Novembertage – Stimmen und Wege" (1990), in dem er die Wege einiger Menschen während und nach dem Fall der Berliner Mauer verfolgte, erhielt Ophuls einen Grimme-Preis. In "Die Geschichte der Kriegsberichterstattung" (FR/DE/GB 1994) porträtierte er Kriegskorrespondenten während der Belagerung von Sarajevo.
1992 wurde Ophuls mit dem Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum und dem Hessischen Kulturpreis geehrt. 1993 nahm man ihn in Hollywood in die American Academy of Arts and Sciences auf.
Nach einer langen Pause realisierte Marcel Ophuls 2009 mit "Max par Marcel" (FR) einen Film über seinen Vater; 2012 folgte das autobiografische Selbstporträt "Un Voyageur" (FR/CH), in dem unter anderem der Ophuls-Bewunderer Woody Allen zu Wort kommt.
Im Jahr 2014 begann Marcel Ophuls mit Crowdfunding für einen neuen Dokumentarfilm: "Unpleasant Truths", über die anhaltende israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete, bei dem er gemeinsam mit dem Israeli Eyal Sivan ("Ein Spezialist") Regie führen wollte. Der Titel ("Unbequeme Wahrheiten") leitet sich aus einem Zitat Charles de Gaulles ab, als dieser über die brisanten Themen von "Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege" informiert wurde. Dreharbeiten zu "Unpleasant Truths" fanden statt, doch aufgrund anhaltender finanzieller und rechtlicher Probleme wurde der Film nicht fertiggestellt.
Marcel Ophuls lebt in Lucq-de Béarn in den französischen Pyrenäen.