Das blaue Licht. Eine Berglegende aus den Dolomiten
Das blaue Licht
H. Angel, Lichtbild-Bühne, Nr. 72, 26.3.1932
Giuseppe Becce erfreut uns zuerst durch das Capriccio italien von Tschaikowski, das er mit dem Ufa-Sinfonieorchester überaus feinfühlig und eindrucksvoll zelebriert.
Dann zeigt man uns eine Ballett-Studie, zu welcher Rudi Feld ein stimmungsvolles Bühnenbild schuf.
Und schließlich startet der neue Leni Riefenstahl-Bergfilm, der diesmal als mittelalterliche Legende aufgezogen ist. Betrachtet man die Handlung als das Mittel, welches die Zusammenfassung der unbeschreiblich schönen Naturaufnahmen des Bildkünstlers Hans Schneeberger bezweckte, so soll es uns heilig sein und wir wollen dem Kollektiv Riefenstahl, Balázs und Mathias Wieman für ihre Bemühungen danken.
Die Geschichte der heiligen Junta, die dieser Film erzählt, füllt einen stattlichen Wälzer. Reich illustriert durch den feinnervigen Kameramann Schneeberger. Was uns hier an Berg- und Waldaufnahmen gezeigt wird, ist einzigartig. Die Meisterschaft, mit der Schneeberger in virtuoser Überlegenheit mit Sonnestrahlen auf Berggipfeln, Halden und Baumkronen, mit Blumen, Grotten und Wolken spielt, hat ihresgleichen nicht in der Geschichte der Kinematographie. Der Film wird bevölkert von Sarntaler Bauern; gotische Gesichter, wie von Riemenschneider in Bergholz geschnitten. Verwachsen mit der grandiosen Bergwelt der Tessiner Dolomiten. Die ganze Legende von Maestro Becce symphonisch untermalt.
Den Freunden der ewigen Berge sei dieses köstliche Bilderbuch warm ans Herz gelegt, es wird sie erfreuen und beglücken wie es auch das Premieren-Publikum durch den duftigen Hauch seiner Bildgestaltung entzückt hat. (...)
G. Becce hat in diesem Film außerordentliche Arbeit geleistet. Schon sein Vorspiel war eine ganz opernhaft aufgebaute Ouvertüre, die die Hauptmotive des Films geschickt aneinanderreihte. Die Sehnsucht nach lebendiger Musik ist nach drei Jahren "Apparaturmusik" bei weiten Kreisen der Kinobesucher wieder aufgewacht; sie kommt dem Arbeitswunsch vieler abgebauter Qualitätsmusiker entgegen und gibt gleichzeitig den großen Theatern Gelegenheit, durch Einsetzen großer Orchester für die Ouvertüren, die begonnene Abwanderung in die Nachspieltheater aufzuhalten! (Man sollte aber deshalb nicht wieder in den schon nach Ernö Rappé überwundenen Fehler verfallen, überdimensionale Musik von Orchestern riesenhaften Ausmaßes spielen zu lassen, sondern sich in Art und Umfang der Musik auf die bereits optisch gespitzten Ohren des Publikums einstellen!)
Becce hat in gutem polyphonem Satz den Film ganz durchkomponiert. Noch von der Stummfilm-Zeit her ist ihm eine ausdrucksvolle Illustrationstechnik eigen, die die Gefühlsinhalte ganzer Bildpassagen musikalisch zusammenzufassen versteht.
Wie gelingt es ihm, die Spukhaftigkeit der Vollmondnacht einzufangen! Sogar den Großstädter packt der Schauer des Gebirgsmysteriums, wenn Becce die tiefen Bassgeigen und Celli einsetzen lässt. Die Bauerntänze, die musikalisch geistreich verarbeiteten Glocken der Herde und einzeln eingestreute Volkslieder heben sich real-idyllisch von dem spukhaften Hintergrund ab.