Inhalt
Sommerferien an der Ostsee. Die attraktive Miriam, ihr Lebensgefährte André und der gemeinsame 15-jährige Sohn Nils sind eine offene, tolerante Familie, die keine Tabus kennt. Kein Problem, dass Nils seine zwölfjährige Freundin Livia mitbringt, eine überaus sinnliche kleine Lolita, die aber kaum zu merken scheint, wie sie auf Männer wirkt. Die Ferien laufen gut an, zusammen gehen sie segeln, treiben Sport, genießen das gemeinsame Essen. Doch dann lernt Livia Bill kennen, einen 38-jährigen, gut aussehenden Amerikaner, der sich ein Haus in der Nähe gekauft hat. Miriam fühlt sich verantwortlich für das Mädchen und beobachtet mit Besorgnis, wie der unschuldige Flirt zu einem Liebesverhältnis zu werden droht. Sie konfrontiert Bill mit ihrer Sorge – und findet selbst an ihm Gefallen.
Als sie eine Affäre mit Bill beginnt, wandelt sich ihre anfängliche Fürsorge für das Mädchen in Eifersucht um, denn Bill scheint mehr als nur väterliche Gefühle für Livia zu haben. Miriam verliert nach und nach die Kontrolle über die Ereignisse. Sie weiß weder, wie sie zu Bill steht, noch wie sie sich ihrer Familie gegenüber verhalten soll.
In "Sommer ′04", dem zweiten Spielfilm von Regisseur Stefan Krohmer und Drehbuchautor Daniel Nocke, steigert sich die Spannung von einer unerwarteten Wendung zur nächsten. Der Film wurde 2006 in Cannes in der "Quinzaine des Réalisateurs" als eine Mischung aus der Leichtigkeit eines Eric Rohmer und dem sich steigernden Unbehagen eines Michael Haneke gefeiert.
Quelle: 57. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Miriam beobachtet besorgt, wie sich zwischen dem scheinbar unbedarften Mädchen und dem attraktiven, freundlichen, offenen und irgendwie auch geheimnisumwitterten Mann ein Liebesverhältnis anzubahnen scheint, zumal die frühreife Livia eines Abends von einem Besuch bei Bill nicht zurückkehrt. Miriam fühlt sich für sie verantwortlich und will eingreifen. Doch aus der Fürsorge für die Freundin ihres Sohnes entwickelt sich bald ein Konkurrenzverhältnis. Denn Miriam findet selbst Gefallen an Bill und beginnt eine Affäre mit ihm. Sie ist dabei die treibende Kraft und verfällt dem Amerikaner geradezu, der Livia längst die Flausen einer möglichen Liebesbeziehung ausgetrieben hat.
Bald weiß Miriam nicht mehr, ob sie Livia aus Eifersucht von Bill fernhält, oder um sie vor jugendlichen Fehlern zu schützen. Sie verliert nach und nach die Kontrolle über sich selbst und damit über die Ereignisse. Verachtet oder liebt sie Bill? Und wie soll sie ihrem Freund Andre, ihrem Sohn Nils begegnen? Letzterer, der Livia sofort ein Verhältnis mit Bill unterstellt hat, nimmt die Entwicklung erstaunlich cool: An dem hübschen Mädchen ist er sexuell nicht interessiert – und sie können doch gute Freunde bleiben.
In den nächsten Tagen unternimmt Miriam gemeinsam mit Andre, Nils und Livia einen Segelausflug, bei dem sie sich mit der Freundin ihres Sohnes ein Boot teilt. Miriam sucht das Gespräch mit Livia, doch die wird durch das plötzliche Umschlagen des Segels hart am Kopf getroffen. Livia wird schlecht und sie will sofort zurück an Land. Miriam hält das alles für einen Vorwand, um nur schneller wieder bei Bill zu sein. Erst zu spät merkt sie, dass Livia wirklich Hilfe braucht...
Nach „Sie haben Knut“ (2002) und „Ein toter Bruder“ (2004) haben der Hamburger Drehbuchautor Daniel Nocke und der Balinger Regisseur Stefan Krohmer mit „Sommer ’04“ erneut einen intelligenten, den Zuschauer fordernden Film gedreht, der nicht nur von der Geschichte und vom gutbürgerlichen Milieu her an Claude Chabrol – und von seiner Figurenkonstellation und geradezu französischen Leichtigkeit an Eric Rohmer - erinnert und der in einer Art Epilog eine überraschende Wendung nimmt, die hier natürlich nicht verraten wird.
Nach den beiden mit „Grimme“-Preisen in Gold ausgezeichneten TV-Produktionen „Ende der Saison“ und „Familienkreise“ feierte das mit Martina Gedeck ideal besetzte Psychodrama Stefan Krohmers in Cannes eine international vielbeachtete Uraufführung, während die deutschen Kritiken eher verhalten ausfielen.
„Sommer ’04“ thematisiert die Gefühle einer Frau zwischen Schuld und Verantwortung, Liebe und Eifersucht. Wobei jede Schwarzweiß-Zeichnung der Figuren sorgsam vermieden wird: „Ein zwölfjähriges Mädchen scheint ein Liebesverhältnis mit einem fremden Mann zu beginnen. Wie soll eine Frau, die sich für das Mädchen verantwortlich fühlt, mit diesem Verdacht umgehen? Welche Fragen stellt sie dem Mädchen, wie geht sie auf den Fremden zu? Und wie verändert sich ihre Position in dem Gefüge, als sie selbst Interesse an diesem Mann entwickelt? Wie verändert sich das Bild, das sie von den anderen Figuren und von sich selbst hat? Wir bewerten keinen der Vorgänge“, so Daniel Nocke und Stefan Krohmer im Alamode-Presseheft, „sondern geben dem Zuschauer Gelegenheit, sich ein eigenes Bild zu machen und es gegebenenfalls wieder zu verwerfen.“
Pitt Herrmann