Urmel aus dem Eis
Der Dino aus dem CGI-Ei
Sascha Westphal, Frankfurter Rundschau, 03.08.2006
Die rasanten Fortschritte in der Computertechnologie haben das Kino revolutioniert. Der 3D-Technik und dem CGI (Computer Generated Imagery) ist es zu verdanken, dass der Animationsfilm trotz der herrschenden Krise im Kinogeschäft gegenwärtig einen sagenhaften Boom erlebt. Die Möglichkeiten der digitalen Animation und der Erfolg des Genres verleiten Filmemacher und Produzenten dazu, selbst solche klassischen Geschichten und Kinderbücher noch einmal neu zu adaptieren, die ihre perfekte Form schon längst gefunden hatten. Insofern war es nur eine Frage der Zeit, wann Urmel, der niedliche kleine Dinosaurier, den wir aus zahlreichen Büchern und natürlich als Figur der Augsburger Puppenkiste kennen, auf der Leinwand aus einem CGI-Ei schlüpfen würde. Schließlich haben sich Max Kruses Geschichten, die von Urmels Abenteuern und dem fantastischen Leben auf der malerischen Südseeinsel Titiwu erzählen, in den letzten 35 Jahren millionenfach verkauft.
Reinhard Klooss und Holger Tappe haben für ihre Version von "Urmel aus dem Eis" dann auch gleich Motive aus mehreren Kruse-Büchern adaptiert. So konnten sie die Geschichte von Professor Habakuk Tibatong und den sprechenden Tieren, die das aus einem Eisberg stammende Dinosaurierei finden und ausbrüten, auf Spielfilmlänge bringen. In gewisser Weise kann man sogar sagen, dass Urmel geradezu geschaffen war für einen 3D-Animationsfilm: Das farbenfrohe Aussteigerparadies Titiwu und seine skurrilen Bewohner - zu denen neben dem gutmütigen Professor noch die Schweinedame Wutz, der Pinguin Ping, der Waran Wawa, der Schuhschnabel Schusch und der See-Elefant Seelefant gehören - sind der Stoff, von dem Computeranimationsspezialisten träumen: Schauplätze wie Figuren geben ihnen die Möglichkeit, das ganze Spektrum ihres Handwerks auszuschöpfen.
Doch selbst die Sorgfalt, mit der sich Klooss und Tappe ihrer Vorlage genähert haben, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass kein computergeneriertes Bild jemals den Charme haben wird, den die "Urmel "-Episoden der Augsburger Puppenkiste auch heute noch versprühen. So atemberaubend etwa die Sequenz, in der Urmel aus einem Vulkan gerettet werden muss, auch sein mag - Klooss und Tappe bedienen in ihr nur die Konventionen des Achterbahnkinos. Alles an diesem Moment ist perfekt, aber gerade deshalb wirkt er kalt. Indem sie Kruses Ideen noch bis ins letzte Detail ausgearbeitet haben, haben Klooss und Tappe sie auch ihrer so zauberhaften Naivität beraubt.
Aber es sind nicht nur die Kälte und die Perfektion der Technik, die den Eindruck entstehen lassen, dass diese "Urmel"- Version das Licht der Leinwand besser nie erblickt hätte. Klooss und Tappe haben noch eine andere für das heutige Animationskino typische Sünde begangen. Obwohl sie ihrer Vorlage mehr Respekt erwiesen haben, als es gegenwärtig üblich ist, sind sie doch der Versuchung erlegen, Kruses Geschichten durch einige modische Attribute zu modernisieren. Doch fügen sich weder die Musical-Einlage zu "We Are Family" von Sister Sledge noch ein surfendes Urmel in die Erzählung ein. Sie bleiben Fremdkörper, die zumindest alle erwachsenen Zuschauer sofort als Teil einer schalen Anbiederungsstrategie durchschauen werden. Dabei hat Kruses Schöpfung solche platten Modernismen gar nicht nötig, denn sie ist auch heute noch so zeitgemäß wie zur Zeit ihres ersten Erscheinens.
© Sascha Westphal