Yella

Deutschland 2006/2007 Spielfilm

"Filme, die Sicherheiten beschwören, sind langweilig"


Christian Petzold und Nina Hoss im Gespräch mit filmportal.de über ihren neuen Film "Yella", Welten, die noch keine Bilder haben, und die Wichtigkeit des Wäscheaufhängens.

filmportal.de: "Yella" ist bereits der dritte Film, den Sie gemeinsam gedreht haben. Was ist das Besondere an Ihrer Zusammenarbeit?

Christian Petzold: Dass sie niemals statisch ist, sondern von Anfang an eine Entwicklung war. Es hat damit begonnen, dass mir 2000 ein Projekt abgesagt wurde und das ZDF mich fragte, ob ich nicht kurzfristig eine andere Geschichte realisieren könnte. Ich umriss den Stoff einer Kurzgeschichte, die ich mit Harun Farocki geschrieben hatte und woraus dann "Toter Mann" wurde: Eine Frau will den Mord an ihrer Schwester rächen. Als die Redakteure fragten, wer die Frau spielen solle, sagte ich spontan: "Nina Hoss". Dabei kannte ich noch keinen einzigen Film mit ihr, ich hatte Nina nur kurz zuvor in einer Talkshow gesehen, in der sie mich einfach beeindruckt hatte. Der ZDF-Redakteur Hans Jahnke sagte nur: "Perfekt" – und dann kam ich da nicht mehr raus. (Petzold und Hoss lachen.)
Ich kannte bis dahin Ninas schauspielerische Qualitäten überhaupt nicht und wusste auch nicht, wie sie arbeitet. Als wir anfingen zu proben, schrieb Nina dann immer alles mit, und das machte mich verrückt, ich fragte mich immer: Was schreibt sie denn da? Aber als Nina dann an den ersten Drehtagen in Berlin eine ganz einfache Szene spielen sollte – sie musste als Leyla nur ein Stückchen gehen – war das ein echtes Ereignis. Das Bild lud sich mit der ganzen Spannung der Situation der Figur auf. So etwas hatte ich noch nicht erlebt – und von diesem Moment an war es eine wundervolle Zusammenarbeit.

Welche Verbindung sehen Sie zwischen den Rollen der Leyla in "Toter Mann", der Laura in "Wolfsburg" und der "Yella"?

Nina Hoss: Leyla und Laura sehe ich als Antipoden. Leyla führt aktiv den Film, sie verführt den Mann und bestimmt die Szenerie und die Aktionen, während Laura die Passive ist und Halt sucht, da ist der Mann der Führende. Bei Yella ist das wieder ganz anders, ich finde, sie steht ganz für sich selbst.

C. P.: Ich sehe das ähnlich. In "Toter Mann" und "Wolfsburg" wird jeweils das Verhältnis eines Mannes und einer Frau untersucht. Der Mann in "Toter Mann" hat ja Imagination und Projektion, er wünscht sich eine Frau, und die Laura in "Wolfsburg" wird eher gebrochen gezeigt aus der Sicht dieses Mannes, der in ihr zunächst nicht die Frau sieht, sondern die Mutter des Kindes, das er getötet hat. Bei "Yella" sehen wir die ganze Zeit über ausschließlich den Aktionen einer Frau zu. Deshalb hat "Yella" auch nur einen Handlungsstrang. Das war der Reiz: Ich konnte in der Dramaturgie nie auf einen anderen Handlungsstrang ausweichen, sondern war immer gezwungen, bei Yella zu bleiben, wie sie immer wieder ins Hotelzimmer geht, in ein Auto steigt, und jedes Mal gibt es eine kleine Veränderung, hat sich etwas verschoben. Da brauche ich jemanden wie Nina, die ein unfassbares Körpergedächtnis hat und aus der Erinnerung an das, was sie schon gespielt hat, die Differenz herstellt.

Wie haben Sie diese Nuancierungen in den einzelnen Szenen erabeitet?

N. H.: Bei den Schlafszenen war uns zum Beispiel vorher gar nicht klar, dass Yella immer in der gleichen Schlafhaltung liegen und auf ganz bestimmte Art aufwachen musste, denn sie sollte niemals richtig einschlafen. Wir haben uns dann überlegt: Wie schreckt man hoch, wenn man im Zug eingeschlafen ist, und kamen darauf, dass es für Yella immer so ein Auftauchen wie aus dem Wasser ist, ein Aufschrecken vorm Ertrinken. Das sind so Kleinigkeiten, die einem vielleicht erst auffallen, wenn man den Film dreimal gesehen hat, aber es ist alles genau bedacht. Das entsteht häufig nicht mal während des Probens, sondern erst während des Drehens.

C. P.: Yellas Schlafhaltung ist ja fast so etwas wie eine "stabile Seitenlage". Wir mussten eine Schlafposition finden, die immer noch eine hohe Anspannung und sogar den Tod in sich trägt, ein gewaltiges Hinabziehen. Das ging bis zu dieser Szene, wo Yella mit Philip geschlafen hat. Wir haben sehr lange herumprobiert. Wie finden wir in dieser Szene der Entspannung, nämlich dem morgendlichen Aufwachen nach einer Liebesnacht, trotzdem noch die Anspannung des Todes? Dazu braucht man natürlich Zeit, aber es lohnt sich, weil so immer etwas Neues entstehen kann, das man vorher nicht im Kopf hatte.

Wie lange haben Sie an einzelnen Szenen geprobt?

C. P.: An manchen sehr lange. Als Yella etwa vom Hotelzimmer aus bei der Deutschen Bahn anruft, um die Zugverbindungen von Hannover nach Wittenberge zu erfahren, haben wir das vielleicht anderthalb Stunden lang geprobt – für eine einzige Einstellung.

N.H.: Oder das Wäscheaufhängen. Auch vielleicht anderthalb Stunden Probe.

C. P.: Da würde jeder Produzent sagen: "Habt ihr in zwanzig Minuten im Kasten." Aber man darf auch im Wäscheaufhängen nicht nur so eine Kulissentätigkeit sehen, Gerade das Alltägliche, diese Selbstverständlichkeit muss erst geprobt werden, denn eine Irritation – und diese Irritationen sind ja bei "Yella" sehr wichtig – spürt man erst, wenn vorher das Alltägliche da gewesen ist. Ähnlich war das mit Christian Redl als Yellas Vater: Die gleiche Selbstverständlichkeit, die Yella beim Wäscheaufhängen hat, musste er beim Orangenschälen haben. So eine Orange hat er tausendmal geschnitten, aber an diesem Morgen schneidet er die letzte Orange für seine Tochter, bevor sie ihn verlässt. Und da unterbricht er das Schneiden, und in diesem Innehalten muss die Irritation wirklich zu sehen sein und nicht vorgeführt werden.

N. H.: Je länger ein Schauspieler so etwas proben kann, desto tiefer wird sein Verständnis für die Figur und desto weniger muss er später eine andere Szene proben, die vielleicht wesentlich schwieriger ist – denn da hat er schon die Figur gefunden, ist ihr nahe gekommen. Es ist ein Missverständnis, wenn man denkt, das wäre nicht so wichtig und verlorene Zeit, denn im weiteren Verlauf wird es eben dadurch leichter. Das bedeutet für einen Schauspieler nicht Festlegung, sondern größtmögliche Freiheit, denn Du selbst findest die Figur in diesen Handlungen.

Frau Hoss, wie bereitet man sich im Vorfeld auf eine Rolle wie die Yella vor, die ja die meiste Zeit des Films nicht wirklich lebt, sondern ihr Leben erträumt?

N. H.: Ich muss eigentlich vergessen, dass ihr Leben nicht real ist. Ich muss es ganz klar und einfach halten und alle Situationen, die Yella durchlebt, alle Irritationen und Merkwürdigkeiten, die ihr widerfahren, als real annehmen. Man kennt es doch von sich selbst: Plötzlich ist man irritiert, meint, etwas gehört zu haben, dann vergisst man es aber auch wieder. Yella begreift erst am Ende, was los ist, und ich als Schauspielerin halte das genauso. Während ich es spiele, sehe ich alles, was ihr passiert, als wirklich an.

C. P.: Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit. Yella ist ja auf der Flucht vor dem Tod, aber auch vor toten Beziehungen, toter Landschaft, der Ausweglosigkeit. Sie darf niemals lange reflektieren.

N. H.: Ja, sie muss schneller sein als der Tod. Sie darf nicht nachdenken, sonst holt er sie ein.

C. P.: Yella steht die ganze Zeit unter diesem enormen Druck. Den Irritationen, die ihr geschehen, kann sie nur durch diese Kraftanstrengung begegnen, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes gegen das Untergehen kämpft. Und deshalb glauben wir diese Merkwürdigkeiten am Rande auch, dass etwa alle Hotelzimmer immer offen sind, dass der Liebhaber die Orange genauso wie der Vater schält – eine psychoanalytische Verdichtung, die mir zuerst gar nicht so klar war. Da kristallisiert sich der ganze Lebenstraum von Yella in einer einzigen Sekunde. Sie ist unterwegs und sie hat einen neuen Mann, und der gibt ihr das Gefühl, endlich zuhause zu sein, wie sie es sich beim Telefonat mit dem Vater ersehnt.

Herr Petzold, können Sie mir etwas zur Farbdramaturgie von "Yella" sagen? Die Verwendung von Rot beispielsweise ist ja sehr auffällig…

C. P.: Ein ausgefeiltes Konzept hatten wir dafür nicht. Ich finde, mit einer kategorischen Farbpsychologie kann man keine Filme machen. Das ist zu durchsichtig und der Zuschauer ist nur dazu da, dass seine passenden Empfindungen abgerufen werden. Inspiriert hat mich aber ein Film von Roger Corman, der keine ausgefeilte Farbdramaturgie hat, in dem aber immer wieder so ein roter Lack auftaucht, der sich durch den ganzen Film zieht. Mich hat fasziniert, wieviel Leben diese Farbe Rot hat und doch gleichzeitig ein Todessymbol ist. Also sollten bei "Yella" die Autos und die Bluse das Rot durch den ganzen Film transportieren. Dadurch wird Yella auch immer zum Zentrum des Bildes. Am Anfang, als sie nach Wittenberge zurückkehrt, zieht sie die rote Bluse aus, weil sie dort nicht im Mittelpunkt stehen, sondern sich durchschleichen will. Später, als sie die rote Bluse wieder anzieht, zeigt sie, dass sie in ein anderes Leben fährt, in dem sie der Mittelpunkt ist, in dem sie sich selbst bestimmt – sie wird offensiv.

Wie läuft Ihre Zusammenarbeit mit Harun Farocki ab, der bei allen Ihren Filmen als dramaturgischer Berater mitwirkt und dessen Dokumentarfilm "Nicht ohne Risiko" über Wagniskapitalgesellschaften Sie als einen sehr wichtigen Einfluss für "Yella" genannt haben?

C. P.: Harun hat mal gesagt, er möchte gar nicht so viel über unsere Zusammenarbeit nachdenken, weil sie so leicht ist - und das stimmt, sie ist wirklich sehr leicht und sehr dialogisch. Ich schicke ihm zum Beispiel, was ich gerade geschrieben habe, im Kurzgeschichtenstil oder als Dialogsplitter, und dann fahre ich zu ihm, wir sitzen da oder gehen spazieren und reden darüber, und im Gespräch spinnen wir diese Geschichte weiter, kommen dann aber auch, wie man im Rheinland sagt, vom Höckschen aufs Stöckschen. Es macht viel Spaß, so rumzumäandern, und wenn ich dann abends nachhause komme, bin ich erfüllt mit einem Bildraum oder Erzählraum, aus dem heraus ich dann der Geschichte wieder näher komme.
Und Haruns Essayfilme haben schon oft meine Filme beeinflusst. Bei "Toter Mann" waren es zum Beispiel seine Callcenter-Recherchen, bei der "Beischlafdiebin" sein Film über Bewerbungstraining. Harun ist ja viel moderner als ich, denn ich bin sozusagen Romancier, 19. Jahrhundert - da sind jedenfalls meine Wurzeln - und Harun ist eher ein James Joyce oder Wolfgang Koeppen. Als ich "Nicht ohne Risiko" gesehen habe, wusste ich: Harun zeigt da eine Welt, die noch keine Bilder hat, er hat die ersten Bilder von dieser Welt des Risikokapitals gemacht, und sie sind absolut gegenwärtig und noch nicht fiktional. Diese Welt bildete also einen Raum, in den die Yella aufbrechen konnte, weil sie den noch nicht im Kopf hat. Sie weiß noch nicht, was sie dort erwartet.

Deutschland wirkt in Ihren Filmen oft irreal und gespenstisch. Manche Orte wie der Potsdamer Platz in Berlin in "Gespenster" scheinen wie die Figuren aus der Wirklichkeit, aus der Geschichte heraus gefallen zu sein. Ist Deutschland für Sie eine Geisterbahn?

C. P.: Ja, irgendwie schon. Das ging mir bereits als Jugendlicher so, ich fragte mich ständig: Was machen die hier eigentlich alle, was für seltsame Leben führen die? Ich bin ja, wie wohl die meisten Deutschen, in so einem zersiedelten Zwischendeutschland aufgewachsen, also kein Berlin, keine Kulturhauptstadt, kein Zentrum oder Nabel - sondern Schlafstadt, Stromkästen, irgendein Teich an der Stadtbücherei, wo man sich abends mit ein paar Bier auf der Bank Geschichten erzählt. Dieses kleinbürgerliche, in Reihenhäuser und Siedlungen zerlegte Deutschland, unfassbar provinziell. Was es bedeutet, dort seine Jugend zu verbringen und nach seinem eigenen Blick auf die Welt und das Leben zu suchen, während man zwischen den Autobahnen lebt, diese Suchbewegungen nach dem eigenen Ort haben mich immer interessiert. Und das ist sicher in meine Figuren eingegangen, die auch immer Suchende sind. Filme, die Sicherheiten beschwören, langweilen mich.

Frau Hoss, Sie spielen auch im Film "Hannah" von Erica von Moeller, der jetzt ebenfalls in die Kinos kommt, eine in ihrer Existenz verunsicherte Frau. Was reizt Sie an solchen Rollen?

N. H.: Mich interessieren einfach Geschichten, in denen die Figuren bestimmte Konflikte in sich tragen, in denen sie um etwas ringen oder ihnen etwas zustößt, womit sie umzugehen erst lernen müssen. Solche Figuren bergen immer ein Geheimnis, weil sie zunächst nicht wissen, was mit ihnen geschieht. Ich möchte nicht gleich denken, aha, das habe ich verstanden. Mir ist wichtig, dass ich viele Fragen habe. Die Antworten sind dabei zweitrangig, ich möchte, dass meine Gedanken in Bewegung kommen, dass ich wacher werde und mehr über die Figur und ihre Geschichte wissen will. Wenn alles schon klar ist, hat eine Figur für mich keinen Reiz.

Haben Sie schon Pläne für ein weiteres gemeinsames Projekt?

C. P.: Ja, im April werden wir wieder drehen. Ich kam auf die Idee, als wir in der Nähe von Wittenberge für "Yella" drehten. Auf der Suche nach Brücken, von denen ein Auto stürzen kann, landete ich im Jerichower Land. Im Osten gibt es ja diese Politik der "Leuchttürme", wo einzelne Städte oder Gegenden ökonomisch funktionieren sollen, aber drum herum wird alles dem Brachland überantwortet. Wenn man also aus den Städten herausfährt, herrscht der Verfall. Genau das war dort spürbar. Mir kam dann die Idee, von einer Gruppe von Leuten zu erzählen, die eine Art sozialen Leuchtturm bilden, also zwei Männer und eine Frau, die in ein Liebes- und Arbeitsverhältnis zueinander treten - ähnlich wie in Viscontis "Ossessione", der mir sehr wichtig ist. In "Ossessione" geht es auch um ein Paar, zu dem ein Dritter hinzukommt, was Begehren auslöst, aber auch Argwohn und Niedertracht. So wird der nächste Film "Jerichow" heißen und sehr von "Ossessione" geprägt sein – eine Geschichte über einen Mord aus Leidenschaft.

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