PiperMint ...das Leben, möglicherweise

Deutschland Luxemburg 2002/2003 Spielfilm

PiperMint - Das Leben möglicherweise

Roadmovie um drei jugendliche Ausreißer auf "Familienurlaub"


Anke Sterneborg, epd Film, Nr. 8, 02.08.2004

Erfreut war der alte Mann, den sie im Dorf den Commissaire nennen, nicht, als die Bande, bestehend aus einem jungen Mädchen, einem jungen Mann und einem Kind, über seine friedliche Welt, in einer alten Villa auf dem Berg über den Klippen der kroatischen Insel Lastovo, hereinbrachen: "Sie nahmen Besitz von der ganzen Villa, wie es nur Jugendliche tun ..." Und doch schwingt in seinen Worten, neben dem Unwillen über die Ruhestörung, auch ein wenig von der Wehmut des Abschieds mit, zusammen mit einer flüchtigen Ahnung von der Kostbarkeit lang vergangener Jugend: "Ich weiß nicht, ob alles so passiert ist, wie ich mich erinnere ... ob es Tage oder Wochen dauerte, auch ob es sie so oder so gab ...": Es liegt ein verträumter Klang in den Worten – und in der Stimme von Otto Sander, der sie in der deutschen Fassung für Sami Frey spricht. Der Mann ist Schriftsteller und dadurch prädestiniert fürs Geschichtenerzählen. Unter seinem Einfluss verflüchtigt sich die Realität dieses Sommers aber auch ins Literarische, ähnlich wie vor kurzem die Liebesgeschichte des dänischen Films "Reconstruction". Möglicherweise ist alles also auch nur erfunden, oder ein Traum.

So bleibt dieser Film auf magische Weise in der Schwebe, zwischen dem Tatsächlichen und dem Möglichen, zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Kindheit und Erwachsenenwelt: Zoé Mint, die ein besonderes Faible für Flugzeuge, alte Pipers, hat und sich darum "PiperMint" nennt, sehnt sich nach einer richtigen Mutter, die nicht vorgeben will, ihre Schwester zu sein, nach einem einzigen Vater, nach einer festgefügten Familie statt der lockeren Kumpelei. Als ihr älterer Bruder Theo in den Süden fahren will, kommt sie kurzerhand mit, und da sie auf den siebenjährigen Artur, dessen Mutter verreist ist, aufpasst, kommt der eben auch mit. Als sie dann zu dritt im roten Cabrio sitzen, dauert es nicht mehr lange, bis sie sich streiten, über die Musik im Auto, über das Ziel der Reise, und da sind sie fast schon eine richtige Familie ... "Sie wollte jemand anderes sein", sagt aus dem Off der Commissaire, den Sami Frey mit südlichem Timbre und lässiger Grandezza spielt. Die Sehnsucht nach Liebe und Familie liegt in der Luft wie ein schweres Parfüm, und während Theo Gangstergesten ausprobiert, kokettiert Zoe mit Familienritualen und nennt doch ihr Trio im unverfänglichen Kinderjargon ihre "Bande". Sie spielt Familie und flirtet zugleich auch mit der Liebe, und so schleichen sich in das unbefangene Rangeln und Raufen unter den Geschwistern immer wieder erotische Doppeldeutigkeiten hinein, und die Blicke gehen unmerklich von der Zärtlichkeit für den Bruder über in die Verzückung für einen Geliebten.

Ein besonderer Zauber entsteht dabei, weil es Nicole-Nadine Deppé in ihrem Spielfilmdebüt gelingt, die Balance zu halten, ohne jemals ins zotig Eindeutige abzustürzen. Ihre zum Teil sehr jungen Schauspieler und Laien, den Teenager Luisa-Soi Kaiser und den siebenjährigen David Zohlen, verführt sie behutsam zu dieser Geschichte, bis sie eins mit ihr werden, etwa so, wie man sich auch im Urlaub langsam einlebt. Eine Sinfonie flüchtiger Blicke und zarter Berührungen erfüllt die mediterran anmutende Villa mit all ihren Treppen und Durchgängen: der leise Atem des Sommerwindes, das Rascheln der zarten durchsichtigen Vorhänge und der bunten Tücher, die wie Moskitonetze über dem Bett hängen, das Sirren der Zikaden und das Miauen der Katzen, das sich mit den feinen Klängen verbindet, die Meret Becker für den Film komponiert hat. So entstehen aus zufälligen Blicken und knisternden Berührungen Stimmungen, die sich stetig aufladen, nur um alsbald ruppig weggewischt zu werden. Zoé kämpft um den Zusammenhalt ihrer Bande, gegen alle Eindringlinge von außen, wie Sanja (Meret Becker), die die Aufmerksamkeit von Theo auf sich zieht, oder der Commissaire, der sich von Artur immer häufiger zum Spielen verleiten lässt. So sind mit dem Ende dieses Sommers nicht nur die Ferien zu Ende, sondern auch ein Lebensabschnitt, ist jene fragile Grenze endgültig überschritten, die die Kinder von den Erwachsenen trennt.

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