Mädchen am Sonntag
Ein Maserati, kein Ferrari
RP Kahls Filmessay ist ein Plädoyer für genaues Hingucken - und für ein anderes deutsches Kino
Rüdiger Suchsland, Münchner Merkur, 26.01.2006
Geschwindigkeit pur, Gefahr und Abenteuer, Schönheit und Kraft - die ersten, rasanten Minuten von RP Kahls "Mädchen am Sonntag" enthalten alles, was das Kino ausmacht. Diese Bilder aus Wildheit und Verführungskraft stehen am Anfang eines dokumentarischen Filmessays.
Die Spielwütigen hieß vor zwei Jahren ein schöner Film von Andres Veiel: Das Portrait von vier Schüler der Berliner Ernst Busch-Schauspielschule. Ein Film voll vom Zauber des Anfangs, der Begeisterung, der Lust am Spielen. Der Berliner Regisseur RP Kahl, der selbst als Schauspieler begann, erzählt diese Geschichte in seinem dokumentarischen Essay "Mädchen am Sonntag" gewissermaßen fort: Vier Schauspielerinnen, drei von ihnen gehören zu bekanntesten des deutschen Films, erzählen von ihrer Arbeit, aus ihrem Leben, über Ängste, Hoffnungen und denken über die Zukunft nach.
Laura Tonke, Nicolette Krebitz, Katharina Schüttler und Inga Birkenfeld - das kann man als filmische Version der "Vier Jahreszeiten" begreifen: Während Birkenfeld noch am Anfang steht, und Schüttler gerade auf einer Woge des Interesses schwimmt, ist Laura Tonke um die 30, und hat erste Enttäuschungen erlegt, Nicolette Krebitz, vor ein paar Jahren ganz oben im deutschen Kino, steht kaum noch vor der Kamera, hat inzwischen ein Kind, und erste Regiearbeiten hinter sich.
Das ist eine Idee, auf die muss man erst mal kommen: Halb Essay, halb Doku stellt Kahl diese vier sehr unterschiedlichen Darstellerinnen vor. Sehr offen reden und erzählen sie, über Selbstzweifel, und über die Leute, die noch an einen glauben, über den Alltag als Schauspielerin in einer Landschaft, in der man zunehmend nicht mehr versteht, was Kino eigentlich ist und sein könnte, wo stattdessen quotenfixierte Fernsehredakteure den Ton angeben und über Regisseure, die zwar nach Außen den starken Mann und großen Künstler geben, intern aber ihre eigene Unsicherheit auf die Schauspieler projizieren, und eine Darstellerin fünfmal zum Casting einladen - worauf sie dann erst Monate später erfährt, das der Film längst mit einer anderen gedreht wird.
Oder die Erfahrungen, die Katharina Schüttler gemacht hat: "Sophiiiie!" ist der Film, den sie als ihren "vielleicht besten" einschätzt. Sie gewann für ihn Schauspielpreise. Aber ihre Agentin riet ihr, die Ausschnitte aus ihrem Demoband zu nehmen, zu gefährlich, zu wild, zu wenig angepasst war der Film - er würde ihr bei den TV-Redakteuren, die die wahren Entscheidungen treffen im deutschen Film, nur schaden. Diese Episode zeigt, wie Darsteller und Filmemacher in Deutschland zum Kuschen erzogen werden, anstatt zum Wagnis, zur Feigheit, nicht zum Mut. Sie zeigt, dass es den allermeisten längst nicht mehr um Kunst geht im Kino,. sondern ums Geschäft. Wie sollte man mit dieser Mentalität auch Kunst machen?
Es hat auch ziemlich viel mit Genauigkeit zu tun. Irgendwann im Film erzählt Laura Tonke eine aufschlussreiche Anekdote: Während der 68er-Unruhen kam die französische Schriftstellerin Francoise Sagan einmal zu einer Kundgebung. Einige der Studenten gucken böse und fragten: "Was will denn die bourgoise Tussi hier mit ihrem Ferrari?" Worauf Sagan konterte: "Das ist kein Ferrari, das ist in Maserati." Die Haltung ist es, um die es geht. Und die Ungenauigkeit der Anderen. Dazu passt die Rezension, die Johanna Adorján vorab über "Mädchen am Sonntag" in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" veröffentlicht hat, und ihre Kritik, die leider offensichtliche persönliche Gründe und nichts mit dem Film zu tun hat, hängt sie an einer angeblichen "entsetzlichen Truffaut-Sicht" des Films auf: "Kino ist schöne Dinge mit schönen Frauen machen." Zu ihren Gunsten (obwohl?) wollen wir mal hoffen, dass sie das nur hingeschrieben hat, um ihrem Film-Redakteur eins auszuwischen. Der schrieb nämlich über den Film: "Wir brauchen mehr Mädchen am Sonntag" und meinte, er sei "geradezu französisch in seiner Art, einen liebenden Blick auf die Frauen zu werfen."
Schwerer wiegt aber, dass der Satz - der übrigens vielleicht gar nicht von Truffaut stammt, sondern von Godard oder von Preminger, so genau lässt sich das nicht mehr feststellen - in Wahrheit ganz anders lautet: "Kino ist, wenn schöne Frauen schöne Dinge tun." Und das ist jetzt schon ein gewaltiger Unterschied, vielleicht der Unterschied von gutem und schlechtem Kino; Maserati eben, nicht Ferrari.
Kahl vermag es, die vier Darstellerinnen dem Publikum zu öffnen, Einblicke von entwaffnender und anrührender Offenheit zu geben, ein Klima der Intimität herzustellen, wie man es selten zu sehen bekommt, im deutschen Kino - eine genaue, manchmal sehr direkte und immer phantasievolle Annäherung an vier unverwechselbare Darstellerinnen, voll visueller Zärtlichkeit. Kahl zeigt, wie es mit der Spielwut weitergeht, und erweist sich in seinem zweiten Langfilm als der letzte wahre Erbe der "Münchner Schule" eines Rudolf Thomé, Eckardt Schmidt und Klaus Lemke: unverfälschtes, ungelacktes Pop-Kino zum Träumen und sich-Verlieren.
Schon der Titel ist vor allem eine Referenz auf die vergessene deutsche Filmgeschichte der Weimarer Republik jenseits von "Metropolis", und damit auf die immer noch größten Jahre des deutschen Films. Und unaufdringlich ruft der Film einem Maximilian Schells vergessene Romy-Schneider-Doku aus den Sechzigern ins Gedächtnis. Was könnte heute eine Romy Schneider heute für Filme drehen? Könnte man sie sich in Weingartners "Fetten Jahren" vorstellen, oder als "Sophie Scholl", oder in einem Doris Dörrie-Film? Dass man das nicht kann, dass man vielmehr laut auflachen muss bei der Vorstellung, was sagt uns das über den Stand der Dinge im deutschen Film?
"Mädchen am Sonntag" ist eine Sehnsuchtsreise ins Innere des deutschen Films. Kahls Essay handelt vor allem von den verpassten Chancen des deutschen Films, die auch die der vier Film-Mädchen sind. Man könnte hier andere Namen einsetzen: Jana Pallaske oder Marie Zielke, Bernadette Heerwagen und viele andere. Sie alle werden keine Romy Schneiders werden, weil die Bedingungen, unter denen hier Filme mehr gemanagt als gedreht werden, solche außerdurchschnittlichen Erscheinungen nicht zulassen.
Dabei bräuchten wir heute nichts mehr, als eine wie sie, doch eine Romy Schneider wäre eigentlich unmöglich, noch unmöglicher als zu der Zeit, in der sie vor den Spießbürgern des Betriebs nach Frankreich floh. In Deutschland gibt es heute kaum Kino, das Gefahr pur, Abenteuer pur, Schönheit pur sein will, dem Bilder voller Wildheit und Verführungskraft gelingen. Warum kann unser heutiges Kino mit Charisma, mit der Aura der Stars, mit Luxus und Glamour so wenig anfangen? Warum entsteht Qualität, wenn sie überhaupt entsteht, bei uns nur aus Strenge und Reduktion, nie aber aus Überfluss und Lust?
Viele Fragen, eine Antwort: Ästhetik und Glamour stehen bei uns immer unter Verdacht, Moral nicht. Umgekehrt wär"s aber besser. Soll unser Kino beim Publikum überleben, und nicht zur zeitgenössischen Variante der Oper degenerieren, dann braucht es weniger Puritanismus und hundert Mal mehr Einfälle - und mehr Filme, wie diesen, mehr Anekdoten wie die, die Laura Tonke hier erzählt über Francoise Sagan und ihren Maserati, mehr Leute, die denken, wie Nicolette Krebitz: "Es ist scheißegal, ob ein Film drei Akte hat. Oder ob er mal langweilig ist - wenn es dafür auch einen Moment gibt, an dem er richtig gut ist."
© Rüdiger Suchsland