Der Fischer und seine Frau

Deutschland 2004/2005 Spielfilm

Fische haben nichts zu sagen

Zwei deutsche Spielfilme, denen es zu gut geht: Doris Dörries "Der Fischer und seine Frau" und Lars Kraumes "Keine Lieder über Liebe"



Daniel Kothenschulte, Frankfurter Rundschau, 27.10.2005

Es war einmal das deutsche Kino. Berühmt im Ausland für seine grüblerische Sperrigkeit, wurde es in den eigenen Grenzen aus dem selben Grund gefürchtet. Warum konnte man nicht raus aus dem kleinen "Pißputt" und wie die Franzosen oder Amerikaner bewundert werden für Opulenz und Glamour? Und als der wegen seiner Geschäftigkeit geachtete König dieser unglücklichen Filmnation gestorben war, dauerte es nicht lange, bis das Wünschen zu helfen begann. Schicke Komödien waren das Ambiente, in dem man sich plötzlich endlich zu Hause fühlte.

Die jüngere deutsche Filmgeschichte, sie erinnert an das Märchen Von dem Fischer und seiner Frau. Fast zwei Jahrzehnte ist jene Umorientierung nun her, die seltsame Ruinen hinterließ. Millionenprojekte, die niemand gesehen hat, wie die Realverfilmung des Comics um Nick Knatterton. Oder kaum jemand, wie Adolf Winkelmanns Guildo-Horn-Klamotte "Waschen, schneiden, legen" – 2,3 Millionen Filmförderung bei 18 000 Zuschauern. Man redet nicht gerne über diese Zeit des Größenwahns, aber noch immer erscheinen Filme, denen ein zu großes Budget den künstlerischen Atem geraubt hat – zuletzt Hans Geißendörfers "Schneeland" und Helmut Dietls "Vom Suchen und Finden der Liebe".

Freundlich ist das frauenfeindliche Märchen nur gegenüber den Fischen

Doris Dörrie hat nun über diese deutsche Sehnsucht nach Mehr einen Film gemacht, indem sie einfach das alte Märchen Vom Fischer und seiner Frau verfilmt hat. Die Hauptrolle spielt der frisch gebackene Star aus Dietls Film, Alexandra Maria Lara. Immer wieder hat das deutsche Kino einen Frauentyp idealisierter Normalität bevorzugt. Henny Porten, Kristina Söderbaum, Ruth Leuwerik, Katja Riemann: Sie alle waren nicht übermäßig schön, nährten keine eskapistischen Sehnsüchte, hatten mehr weibliche Fans als männliche – und trafen offensichtlich doch den Geist ihrer Zeit am besten. Ihre Filmfiguren begehrten nicht auf gegen die Gesellschaft, sondern lediglich gegen das Wenige, das ihr privates Glück so unvollkommen machte. Ein Glück, das die Engländer mit dem schönen Ausdruck "creature comforts" versehen haben, auf deutsch heißt es wohl Gemütlichkeit.

Auf einer Japanreise lernt die angehende Modeschöpferin Ida zwei deutsche Fischverkäufer kennen. Eigentlich sind es eher Kunsthändler für Fische, denn sie handeln mit den wertvollen Zuchtprodukten Koi, die von Sammlern in aller Welt sündhaft teuer bezahlt werden sollen. Es ist ein ungleiches Fischergespann: Leo (Simon Verhoeven) ist ein smarter Yuppie, Otto (Christian Ulmen) ein bescheiden-eigenbrötlerischer Parasitologe. Die ehrgeizige Ida, der man die Rucksacktouristin schon zu diesem Zeitpunkt nicht abnehmen möchte, sucht sich fatalerweise Letzteren aus, und es ist kein Trost, dass auch Ulmen in den Schuhen des Fischers ausgesprochen deplatziert wirkt. Hoffen wir also, dass die Schauspieler noch mit ihren Rollen warm werden. Und zur Frage, welches der beiden zur Auswahl stehenden Männermodelle größere Verkaufschancen hat, gibt es ja bereits einen Doris-Dörrie-Film.

Die Regisseurin allerdings, die außerhalb der Leinwand das seltene Talent besitzt, pointierte Kurzgeschichten schreiben zu können, bleibt im Folgenden bei ihrer einen Seite Grimm. Wie plausibel muss sich das alles im Konzeptstadium angehört haben: Eine Neulektüre des politisch so herrlich unkorrekten Märchens über die weibliche Gier nach materiellem Wohlstand und die Hilflosigkeit des Waschlappens an ihrer Seite. Mit "frauenfeindlich" ist das Märchen nur unzureichend charakterisiert. Freundlich ist es nur gegenüber den Fischen.

Auch in Dörries Film haben die sonst so schweigsamen Kreaturen einiges zu sagen über den moralischen Verfall des Eheglücks jenseits der Aquarienscheibe: über den zum Hausmann und allein erziehenden Papa degradierten Otto, der seiner Frau den entscheidenden Karrierschub ermöglicht, seinen schönsten Fisch für ein Eigenheim verkauft und dann nicht mehr viel von ihr zu sehen bekommt. Und die verständnisvoll porträtierte und doch zusehends uninteressanter werdende Ida, deren Besonderheit man so wenig versteht wie den Medienhype, der Frau Lara sonst umgibt, wenn sie nicht in einem Film zu sehen ist. Sie plappern eine Menge, diese Fische, aber zu sagen haben sie wenig. Und dann sind wir wieder da, wo sich das deutsche Kino einmal am wohlsten fühlte: im prächtigen, grellbunt eingerichteten Designerhaus, errichtet um ein stinknormales Nichts. So gern man dieses Comeback in ihrem alten Paradegenre mit Doris Dörrie feiern möchte, ist "Der Fischer und seine Frau" doch selbst wieder so ein Koi, ein hochgezüchtetes Wesen, dem es zu gut geht in seinem schicken Pool.

Ein anrührend-genialischer Film zum neuen deutschen Popwunder

Und dann ist da noch ein deutscher Film in dieser Woche, dem es ein wenig zu gut geht. Der aber dennoch für sich einnehmen kann, wohl weil er nicht das letzte Exponat des Lebensgefühls der 1980er Jahre ist, sondern einer aktuellen, indes gar nicht unähnlichen Suche nach Gemüt- und Innerlichkeit. "Keine Lieder über Liebe" ist der Film zum neuen deutschen Popwunder. Es ist ein Bandfilm über ein imaginäres, aber mit echten Künstlern besetztes Ensemble aus dem Umfeld der Hamburger Schule, das bei einer Tournee das Liebesleben seines Frontmannes (Jürgen Vogel) auszubaden hat. Der hat eine Affäre mit der Freundin (Heike Makatsch) seines Bruders (Florian Lukas) – was letzterer sich unter dem Vorwand eines selbst gedrehten Tourneefilms aufzudecken vorgenommen hat. Eine einfache Dreiecksgeschichte vor dem Hintergrund eines Tourneefilms ist das, was sich der Nachwuchsregisseur Lars Kraume zu erzählen vorgenommen hat – und erlöst mehr ein als nur diese Vorgabe.

Pseudodokumentationen, zumal aus dem Popmilieu, gehen fast immer schief: Das Spontane wirkt gestellt, das Inszenierte aufgesetzt. Hier geht alles wunderbar zusammen, was nicht nur daran liegt, das mit der Filmband eine echte Tour veranstaltet wurde. Das Geheimnis dieses Films liegt darin, dass die so wortreich diskutierte Dreiecksgeschichte, in der jedes verzweifelte Argument zu hören ist, dass dabei üblicherweise nächtelang ausgetauscht wird, so gut harmoniert mit den Themen der gegenwärtigen deutschen Popmusik. Es ist ja tatsächlich so, dass die erfolgreichsten Acts einer längst Mainstream gewordenen Alternative-Szene einen Stil verhuschter Selbstverortung pflegen, eine Metaphorik des Dahingesagten und Schonmalgehörten. Genau diese mit dem Pathos des Selbstgezimmerten vorgebrachten Bekenntnisse machen Kraumes "Keine Lieder über Liebe" anrührend-genialisch.

Dass es dennoch auch diesem schönen Film eine Spur zu gut geht, liegt an der Besetzung. Ausgerechnet Nessie Nesslauer, Deutschlands beste Castingfrau, bekannt als Entdeckerin von Nachwuchstalenten wie Franka Potente, besetzte mit großen Stars auf Nummer Sicher. Nun ist Heike Makatsch die einzige Figur der deutschen Popkultur, die tatsächlich jene britische Aura von weltläufiger Frühverlebtheit mitbringt. Es fehlt ihr nicht mehr viel zu einer veritablen Marianne Faithful. Aber gerade weil sie so ein Popstar ist, passt sie nicht mehr in diesen doch viel kleineren Film. Man glaubt zu keinem Zeitpunkt, dass sie Florian Lukas" Freundin sein soll, und nicht von Anfang an zu Jürgen Vogel gehört, der einzigen Figur, die halbwegs ihr Standing und eine ähnliche Präsenz besitzt. Florian Lukas indes glaubt man eine Menge, weil er so ein guter Schauspieler ist. Allen dreien aber glaubt man nicht, dass sie mit thirty-something noch über einen Seitensprung verzweifeln können wie mit neunzehn. Dem erfrischenden Ton dieses auf liebenswerte Weise populären Beziehungsfilms tut das freilich keinen Abbruch. Er schwebt dahin auf seinen satten Akkorden und blassen Farben, und in zwanzig Jahren werden wir so froh sein, dass es ihn gibt, wie wir heute froh sein können über "Männer" von Doris Dörrie.

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