Crash Test Dummies
Crash Test Dummies
von Hans Schifferle, epd Film, Nr. 5, 2007
Menschen, bunt zusammengewürfelt aus West und Ost, die sich am Bahnhof Mitte in Wien treffen, zufällig oder schicksalshaft. Menschen, die sich fremd sind, wenn sie sich begegnen. Menschen auch, die sich selbst fremd sind. Da ist Jan, ein Wiener, Mitte 30, gespielt von Simon Schwarz, einem heimlichen Star des neuen österreichischen Kinos. Allein das bizarre Haarteil, das seine Glatze verbergen soll, lässt ihn strange erscheinen. Von seiner Partnerin (in einer Gastrolle: Barbara Albert) lebt er getrennt, mit seinen bürgerlichen Eltern befindet er sich im Clinch. Eine äußerst seltsame Mitbewohnerin teilt mit ihm die Wohnung. Martha Holub heißt sie und jobbt als Arzneimitteltesterin und lebendiger Crash Test Dummy. Infolge dieser Tätigkeiten taumelt sie wie eine Schlafwandlerin durch Wien.
Jan selbst hat eine neue Stellung, zur Probe arbeitet er in einem Supermarkt als Detektiv. Das bedeutet, dass er die meiste Zeit vor sechs Monitoren kauert und so die Kunden überwacht. Er ist mehr ein müder Voyeur eines trostlosen Konsumverhaltens als ein Nick Knatterton der Postmoderne, der er so gern wäre. Eines Tages erscheinen auf seinen Bildschirmen die junge Rumänin Ana, die mit ihrem Freund Nicolae nach Wien gekommen ist, um ein Auto nach Bukarest zu überführen. Wie Hänsel und Gretel wirken die beiden dabei im billigen Konsum-Dschungel Wien, wo sich nur noch Kitsch wie ein Uhren-Imitat oder eine Spielzeugkuh richtig zu artikulieren scheint. „Ich bin die Zenzi“, so pocht die Stoffkuh, die Nicolae in Händen hält, mit quäkend-elektronischer Stimme auf ihrer Identität. Der gute, komische Jan freilich darf sich wie ein moralischer Big Brother fühlen, der vor allem Ana immer wieder aus der Patsche hilft.
Liebenswerten Zombies gleichen alle Figuren in Jörg Kalts sanft-ironischem Film, sie sind gleichsam Testpersonen für ein vereinigtes Verbraucher-Europa. Ana und Nicolae droht es angesichts der westlichen (Un)Möglichkeiten auseinanderzutreiben. Dabei bemerkt Ana einmal richtig, als sie beide in einem billigen Wiener Hotel mit Siebzigerjahretapete übernachten, dass es in der Donau-Metropole oft genug nicht anders aussehe als in Bukarest.
Eine recht schöne Nebenfigur bringt den zerrissenen Zustand der Helden, einerseits entfliehen zu wollen, dem Osten genauso wie dem Westen, und doch lethargisch in einem Heimatgefühl zu verharren, auf den Punkt. Es ist die blonde Reisekauffrau Dana, von der großartigen Viviane Bartsch gespielt, die nie die Reiseziele erreichen wird, die sie verkauft, zu ihrem Unglück oder Glück. Auch in Sachen Liebe und Erotik bleibt sie eine Touristin des inneren Zirkels, ein aufregend-trauriges Wiener Madl, das in mehrfacher Bedeutung viele Männer, auch Nicolae, kommen sieht – und gehen.
Jörg Kalt, der lange Zeit eine schöne Filmkolumne in der Kulturzeitschrift "Du" geschrieben hat und mit seinem Debüt Richtung Zukunft durch die Nacht überrascht hat, drehte "Crash Test Dummies" bereits vor drei Jahren, zur ersten Osterweiterung der EU. Das merkt man dem Film natürlich an, er ist in mancher Hinsicht nicht besonders aktuell. Dennoch überzeugt Kalt mit einem besonderen Gespür für Surrealismen unserer Zeit, für eine eigenartige Poesie in der Beschreibung der alltäglichen Sehnsucht. Das gibt Hoffnung in Zeiten ohne Perspektive. Am Ende finden sich die richtigen Paare an einem nächtlichen Grenzübergang. Und dann taucht auch noch fast traumhaft eine richtige Kuh auf und wischt allen Kitsch und alles Spielzeug hinweg.