One Day in Europe
Fußball als Europas Bindemittel
Filmecho: Was Sie schon mit dem doppeldeutigen Titel andeuten?
Stöhr: Ja stimmt, man kann "One Day in Europe" mit "Ein Tag in Europa" oder mit "Eines Tages in Europa" übersetzen. Ich war viel mit dem Rucksack unterwegs in allen Teilen Europas, später habe ich mit "Berlin is in Germany" verschiedene europäische Filmfestivals und Kinostarts erlebt. Überall war die Frage nach der Zukunft Europas Thema. So kam die Idee, einen Film darüber zu drehen, wohlgemerkt nicht über die EU, sondern über Europa.
Filmecho: Wobei Sie ein Bild von dem entwerfen, was die Politiker gerne als einheitliches Europa mit einer Vielfalt der Kulturen bezeichnen.
Stöhr: Ich habe versucht, nicht mehr European way of life zu behaupten, als tatsächlich vorhanden ist. Jeder Film ist politisch und sollte etwas über die Zeit erzählen, in der er spielt. Andererseits möchte ich nicht zu sehr in die Diskussion, um den Beitritt der Türkei in die EU hineingezogen werden. Denen, die glauben mit dem Beitritt der Türkei gehe das Abendland unter, sagt der Film aber schon: "Hey, die schauen genauso Fußball wie wir."
Filmecho: Es ist aber schon auffällig, dass Sie mit Russland und der Türkei Länder ins Zentrum rücken, die am Rande Europas liegen?
Stöhr: Es ging um das, was die Städte über Europa erzählen, welche Symbolik sie haben, um den eigenen Bezug und letztlich auch um die Machbarkeit, also um die Frage, wo kenne ich mich aus, welche Kontakte gibt es. In Berlin wohne ich, in Santiago de Compostela habe ich gewohnt, in Istanbul habe ich Freunde und kenne mich aus, in Moskau war ich schon paar Mal. Moskau und Istanbul gehören für mich einfach dazu, wenn ich ein Bild von Europa zeichnen will. Sie sind das Tor zu Asien, von ihrer religiösen und geschichtlichen Bedeutung mal ganz abgesehen. Natürlich vermisse ich Italien, Portugal, Skandinavien ... aber ganz Europa geht halt nicht. Deswegen haben wir uns für die äußeren Pole entschieden.
Filmecho: Diese genaue Kenntnis der unterschiedlichen Mentalitäten und das Spiel mit Klischees über andere Nationalitäten sind zwei der großen Stärken des Films.
Stöhr: Man kann ja nur über etwas schreiben, was man kennt, um ganz präzise auch die kleinen, einfachen Momente beschreiben zu können. Einerseits arbeite ich mit Klischees und will wissen, was an Ihnen stimmt. Andererseits breche ich sie und stelle sie auf den Kopf. Galicien, Santiago de Compostela entspricht ja nicht unbedingt dem Bild, das man in Deutschland normalerweise von Spanien hat. Ich wollte Figuren schaffen, deren Gefühle eindeutig sind, und Schauspieler nehmen, die ich gut kenne.
Filmecho: Wie zum Beispiel Miguel de Lira ...
Stöhr: Seinen Humor kann man nicht erfinden. Ich kenne ihn aus der Zeit, als ich noch jongliert und Straßentheater gemacht habe. Miguel hat ein eigenes Theater in Santiago de Compostela, dort haben wir uns kennen gelernt. Boris Arquier ist in der Varietészene ein Star, den kenne ich auch noch von früher. Rachida Brakni habe ich bei der Berlinale 2002 kennengelernt, bei der sie in dem Film "Chaos" von Coline Serreau die Hauptrolle gespielt hat. Von Erdal Yildiz wusste ich, dass er akzentfrei schwäbisch spricht. Ihn kenne ich noch aus DFFB-Zeiten. Für Florian Lucas wurde der Part direkt geschrieben. Und es war auch klar, dass Oleg Assadulim den russischen Polizisten spielen wird. Die Besetzung und die Geschichte beeinflussen sich ständig gegenseitig. Man schreibt eine Idee auf und wenn die Schauspieler dazu kommen, kann man mit ihnen zusammen die Geschichten präzisieren. Das ist der Vorteil, wenn man gleichzeitig Autor und Regisseur ist.
Filmecho: Warum nutzen Sie ein Champions-League-Finale als Klammer?
Stöhr: Das Entscheidende war, das verbindende Ereignis zu finden, um den Moment der Gleichzeitigkeit bei den vier Episoden herzustellen und einen gemeinsamen Raum zu definieren. Man kann von Fußball halten was man will, aber er ist im Moment das einzige Großereignis, welches in ganz Europa wahrgenommen wird. Ich wollte von einem Europa erzählen, das existent ist.
Filmecho: Zum Thema Europa sind im vergangenen Jahr viele Reden gehalten worden. Trotzdem mussten sie lange darum ringen, den Film zu drehen.
Stöhr: Ich habe im März 2001 eine Drehbuchförderung von der FFA bekommen. 2002 war ich schon auf Drehortsuche. Wir wollten 2003 drehen, aber die Finanzierung hat nicht geklappt. Viele Förderer haben gefragt, was soll das? Damals dachte ich ans Aufhören. Andreas Streitmüller von Arte und Moneypenny haben mit mir zusammen, aber immer an das Projekt geglaubt. Sigrid Hoerner und Anne Leppin von Moneypenny haben unglaublich gekämpft, um das Budget zusammenzubekommen. Es war auch richtig, darauf zu bestehen, die Crews in allen Ländern ordentlich zu bezahlen und Russland und die Türkei nicht als Bilhglohnländer zu sehen. Sonst konterkariert man die eigene Idee.
Filmecho: Sie waren dann jeweils acht Tage in jeder der Stadt und haben sich nur Pausen gegönnt, um das Material zu transportieren.
Stöhr: Es war alles gut durchgeplant. Die lange Vorbereitungszeit und Bucharbeit zahlte sich aus. Das reisende Team bestand aus elf Personen. In jedem Land arbeiteten wir dann mit neuen Leuten vor Ort zusammen. Das war eine spannende Erfahrung. Natürlich gab es viele Probleme, aber wir waren ein Team, das die Probleme lösen konnte.