Horst Buchholz...mein Papa
Horst Buchholz ... mein Papa
Ralf Schenk, film-dienst, Nr. 19, 2005
Ein Besucher, noch unsichtbar, betritt eine fast leere Dachgeschosswohnung. Nur einige großformatige Gemälde hängen an den Wänden, und ein Sessel steht im Raum, auf dessen Überzug eine Sonne lacht. Der Besucher erinnert sich an den einstigen Bewohner: wie er am Morgen aufwachte, mit schwerem Kopf, und nicht mehr entziffern konnte, was er am Abend zuvor auf einen Zettel geschrieben hatte. Dann rückt der Inhaber der Wohnung ins Bild, der Schauspieler Horst Buchholz kurz vor seinem Tod im März 2003. Der Besucher aber erweist sich als sein Sohn Christopher, der ihn nun in einer Art Selbstgespräch fragt, warum er so heftig trinke, warum er sich kaputt mache. So beginnt die Selbstverständigung des Regisseurs über den Mann, der sein Vater und dennoch ein Buch mit sieben Siegeln war.
Wenn Familienmitglieder prominenter Künstler einen Film über dieses Objekt vielfachen Interesses drehen, überwiegt, zumal nach dem Tod des Porträtierten, meist ein harmonisierender Tonfall. Das ist menschlich verständlich, hinterlässt aber meist den Beigeschmack, nur einen Teil der "ganzen Wahrheit" zu erfahren. Auch Christopher Buchholz entgeht dem nicht: Wenn sein Vater und dessen Frau Myriam mit ihren Erinnerungen innehalten, insistiert er nur sehr vorsichtig, respektiert das Schweigen der Eltern, lässt sich kaum auf weitergehende Mutmaßungen und Spekulationen über deren Seelenzustände, Ängste und Narben ein. Vielleicht legt der Film, den der Sohn und seine Co-Regisseurin Sandra Hacker weder als Abrechnung noch als Hommage verstanden wissen wollen, aber gerade in den Momenten der Stille und der Verweigerung jene Wunden frei, die das Leben hinterließ: die Furcht des als ewig jung gehandelten Stars vor dem Alter; die Flucht in den Rausch; das Bewusstwerden von Niederlagen; die Sorge, vergessen zu werden, ja lebendig begraben zu sein. Wenn Horst Buchholz beschwört, er hätte nichts zu bereuen ("Sonst macht man sich das Herz kaputt"), offenbart er ein wesentliches Moment jener langen, qualvollen Selbsttäuschung, von der der Film unter anderem handelt.
Christopher Buchholz brauchte Zeit und Überzeugungskraft, um den Vater noch einmal vor die Kamera zu holen. Wie sehr er während des Drehens mit ihm rang, beweisen einige Szenen, in denen Horst Buchholz die Audienz abrupt beendete und dringende Hungergefühle vorschob, um bestimmten Fragen, etwa nach einem Selbstmordversuch, aus dem Weg zu gehen. Überhaupt antwortet er eher stockend und mit oft großen Pausen; seine Depressionen hatten sich längst in den Zügen seines Gesichts eingegraben. Ganz jung scheint er nur noch einmal zu werden, als er im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, dem Kiez seiner Kindheit, auf Spurensuche geht. Sentimental muten Ausschnitte aus 8mm-Familienfilmen an, die den Vater mit Ehefrau und Kindern beim Spazierengehen und Entenfüttern zeigen. Die genauesten Beschreibungen von Horst Buchholz erfährt Sohn Christopher von seiner Mutter: Myriam, die sich nach der Zuwendung ihres Mannes zum eigenen Geschlecht als Schauspielagentin in Paris etablierte und als erste der Familie einen Psychoanalytiker konsultierte, fasst Aufstieg und Fall des Horst Buchholz in markanten Sätze zusammen wie: "Er hatte Macht über alle Leute... Er war ein heiliges Ungeheuer. Und ein Ungeheuer im Leben...Er hat geglaubt, er ist Gott, und das hat ihm viel Stärke gegeben... Er hatte keine Moral, obwohl er moralisch war. Er hat selbst die Regeln gemacht... Das Schrecklichste ist, dass ihm alles so leicht fiel. Dann strengt man sich nicht mehr an... Euer Vater war mehr Kind als ihr... Ich konnte ihm alles verzeihen, nur nicht, dass er seine Kunst kaputt macht."
Natürlich verknüpft der weitgehend chronologisch aufgebaute Film auch Episoden der Biografie, erzählt von den Anfängen als Schauspieler, lässt die Begegnung mit Billy Wilder bei den Dreharbeiten von "Eins, zwei, drei" (1961, fd 25138) und die kaum verständlichen Absagen an Regisseure wie Elia Kazan oder Luchino Visconti nicht aus. Auch fügt er Szenenausschnitte ein, aus Arbeiten wie "Marianne, meine Jugendliebe" (1954), "Die Halbstarken" (1957), "Nasser Asphalt" (1958), "Auferstehung" (1958) oder "L"Astragal" (1968). Diese Zitate sind durchweg klug gewählt und stehen nicht nur illustrativ, sondern meist metaphorisch für bestimmte Etappen im Leben von Horst Buchholz, etwa die Musterung aus der Thomas-Mann-Verfilmung "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krall" (fd 5857), der der Star nach eigenem Bekenntnis auch sein Lebensmotto entlehnte: "Liebe die Welt, und die Welt wird Dich lieben." "Horst Buchholz... mein Papa" gibt Auskunft darüber, dass dieses Ideal letztlich doch nicht zu leben war. Einmal, während des Streifzugs durch den Prenzlauer Berg, sagt der Schauspieler: "Ich heiße Horst. Die Zeit von Hotte ist vorbei." Der ganze Film aber spricht davon, wie sehr Buchholz davon träumte und darauf hoffte, auf ewig Hotte bleiben zu können.