I.N.R.I.

Deutschland 1923 Spielfilm

I.N.R.I.


M–s., Film-Kurier, Nr. 283, 27.12.1923


(...) Der Höhepunkt der Handlung, die Kreuzigungsszene, ist zugleich der Höhepunkt der Regieleistung. Hier – allerdings nur hier – ist seelisches Geschehen restlos in Bewegung umgesetzt, ist die Szene konsequent bis zur Gipfelung in Christi Sterben gegliedert. Vorher sieht man öfters aneinandergereihte, äußere Vorgänge, die nicht immer rhythmisch durchkomponiert sind. Die seelische Intensität dieser Menschen, ihre Besessenheit von dem Erlebnis Christus wird nicht restlos nach außen projiziert. Hier gibt die Regie lebende Bilder, die eben Bilder bleiben. Nur, wo überragende, schauspielerische Individualitäten wie die Nielsen und Krauß in Aktion treten, wird erreicht, was Endziel jedes künstlerischen Strebens ist: Die Verzauberung des Zuschauers durch das Kunstwerk.

Grigori Chmara als Christus hat die stilisierte Gebärde, die dem legendarischen Jesusbild entspricht. Wie die Regie erreicht sein Christus seinen Gipfel in der Kreuzigungsszene. Hier erhebt er sich zur Gestaltung der Idee Christi: des Wesens, das sich zum Heile einer entgötterten Menschheit selbst zum Opfer bringt. Hier spiegelt seine Miene jenes seelische Leid, in dessen Flammen physisches Leid gänzlich verlischt.

Henny Porten gibt Maria die äußere Illusion der Schmerzensmutter nahezu deckend, darstellerisch bleibt ihre Leistung leer.

Alexander Granachs Judas gibt hier wieder allzu ungehemmt seiner Neigung zu Unterstreichungen nach. Seine Gebärde bleibt dekorativ, weil sie nicht Selbstzweck ist, nicht Symbol eines inneren Zustandes, sein Mienenspiel Grimasse. Sein Judas wird nicht zum Typus, sondern bleibt Einzelindividuum, dem als solchem die innere Wahrheit fehlt.

Asta Nielsen als Maria von Magdala unvergeßbar in der Szene, wenn sie Christus zum ersten Male gegenübertritt. Wie hier die große Kurtisane überwältigt wird vom Anhauch einer Welt, von der sie bisher nichts geahnt, wie nicht nur das Gesicht, sondern der ganze Körper zum Instrument wird, diese Metamorphose auszudrücken, das ist sublimste Körperkunst, Spiritualisierung der Filmdarstellung mit Mitteln, die ganz und gar der Sphäre des Films entstammen.


Werner Krauß als Pontius Pilatus: ein planvoll komponiertes Charaktergemälde. Zunächst der blasierte Weltmann, für den der neue Messias ein Würmchen bedeutet, das von der Weltmacht Rom ausgetilgt wird, wie man ein Insekt zertritt, faßt ihn genau wie die Kurtisane das psychische Erlebnis Jesus, um ihn nachher doch mit weltmännischer Geste dem Pöbel zu überlassen. Wie Krauß hier körperlich auf die Worte Jesu: "Mein Reich ist die Liebe" reagiert, wie er hier in geduckter Haltung dasteht, gleichsam als wenn ein Gewitter über ihn dahingeht, darin symbolisiert sich Abwehr und zugleich Ahnung einer geistigen Macht, vor der die Weltmacht Rom ins Nichts verwehen wird.

Von den übrigen verdient einer Erwähnung Theodor Becker als römischer Hauptmann: gleichsam die Personifikation der Erbarmungslosigkeit des römischen Imperiums. (...)

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