Das Goebbels-Experiment

Deutschland 2003-2005 Dokumentarfilm

Ein Fall von Korruption

Lutz Hachmeisters Film "Das Goebbels-Experiment"


Thomas Assheuer, Die Zeit, Hamburg, 14.04.2005

"Einfühlung" ist das affektive Strickmuster, mit dem viele Filme über den Nationalsozialismus derzeit um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen. Das historische Interesse an den Mechanismen der Macht tritt zurück und weicht einem zuweilen fragwürdigen, stets suggestiven Spiel von Distanz und Identifikation. Wie hätten wir Nachgeborenen damals gehandelt? Wären wir den Rattenfängern auf den Leim gegangen und ihrem diabolischen Säuseln erlegen?

Das "Goebbels-Experiment" von Lutz Hachmeister und Michael Kloft folgt ziemlich genau diesem Stimmungsmuster. Die beiden Autoren benutzen Propagandamaterial, Amateuraufnahmen und Spielfilmszenen und unterlegen sie – ohne Fremdkommentierung – mit Zitaten aus Goebbels" Tagebüchern. Sie wählen eine radikale Ich-Perspektive und lassen Hitlers Propagandaminister reden und reden und reden. Der einsame Demagoge fanatisiert die Masse, und schon nach drei, vier Sätzen ist diese ihm zu Willen.

Rasch stößt der Film dabei an die Grenzen seines subjektivierten Verfahrens. Denn was nicht in den Tagebüchern steht, das kann natürlich auch nicht vorkommen. Über Joseph Goebbels" akademische Lehrjahre erfährt man kaum etwas, noch weniger über seinen Roman "Michael", der bereits das gesamte antisemitische Wahngebilde enthält. Auch die Perfidie, mit der er die Bevölkerung auf die Juden-Deportationen medial "einstimmt", spielt nur am Rande eine Rolle (vgl. die Berlinale-Beilage in der ZEIT Nr. 7/05).

Zu Recht haben Kritiker diese Schwächen an Hachmeisters Film moniert. Nun aber gibt es, nur wenige Wochen nach seiner Premiere auf der Berlinale, neue Gelegenheit, das "Goebbels-Experiment" zu diskutieren. Denn inzwischen ist im S. Fischer Verlag Götz Alys aufsehenerregende Studie über "Hitlers Volksstaat" erschienen. Ihre provozierende These lautet, dass Hitler das deutsche Volk durch soziale Wohltaten und geraubtes jüdisches Eigentum bestochen hat. Vor allem materielle Korruption sicherte die Loyalität zum NS-Regime (ZEIT Nr. 11/05 und Nr. 15/05).

Götz Alys These wirft ganz nebenbei ein neues Licht auf Hachmeisters Film. Welchen Strategien verdankt sich Goebbels" Aufstieg? Was hat er dem deutschen Volk versprochen? Verdankt sich Goebbels" Karriere ebenfalls materiellen Verheißungen – oder doch eher einem radikalen Antisemitismus? In Hachmeisters Filmmontagen verspricht der junge Goebbels der jubelnden Masse keineswegs künftigen Wohlstand und soziale Gratifikationen, allen Sozialrevolutionären und antikapitalistischen Untertönen zum Trotz. Was er verspricht, ist vor allem dies: Dass Hitler der kommende Messias sei und den "Juden das freche Lügenmaul gestopft wird". Die "Judenpest wird ausradiert", so lautet der barbarische Refrain von der ersten Stunde an.

Götz Aly, so könnte man vor dem Hintergrund des Films sagen, unterschätzt die Macht von Antisemitismus und Führermythos, die ihre Wirkung schon weit vor 1933 entfalteten. Im Übrigen stammten Goebbels" mörderischer Antisemitismus und seine völkische Erlösungsreligion keineswegs aus dem Arsenal der Nazis, sondern aus seinem deutschnationalen Umfeld. Der Propagandist hat seine Formeln nicht erfunden, er hat sie in der deutschen Gesellschaft vorgefunden.

Besonders düster ist die Einsicht, dass sich seine Erlösungs-"Religion" zu einem guten Teil aus der antijudaistischen Tiefenschicht der katholischen Kirche speiste. Wie Olaf Blaschke unlängst gezeigt hat (in R. Faber: Katholizismus in Geschichte und Gegenwart; Verlag Königshausen und Neumann), galt zwar "Judenhatz" als unchristlich, aber die Selbstverteidigung gegen ihren "schädlichen Einfluss" auf das "Kulturleben" war allererste Christenpflicht. Das erlaubte es Goebbels, katholische Formeln aufzugreifen und gleichsam "umzucodieren" – die Vernichtung des Feindes war ein "Gottesdienst" und der Russlandfeldzug das "Strafgericht des Herrn".

Was immer man gegen das filmische Verfahren von Hachmeister und Kloft vorbringen mag, vor allem gegen die Reduzierung ihrer Perspektive auf das demagogische Ich: In der aktuellen Diskussion um Götz Alys Buch zeigt das Goebbels-Experiment, dass das deutsche Volk nicht erst durch soziale Wohltaten bestochen werden musste. Jene, die seinen Parolen zujubelten, waren längst moralisch korrumpiert, und zwar weit vor 1933. Der faschistische Mythos nistete bereits in ihren Köpfen, noch ehe die NS-Clique überhaupt an der Macht und Raubgut zu verteilen war. Dieser Mythos kannte nur ein Versprechen: die Auslöschung der Juden und die Auferstehung des Volkes.

© Thomas Assheuer

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