Inhalt
Der 15-jährige Sebastian weigert sich, mit seiner Mutter ins Berliner Vorstadtidyll zu deren dynamischen Westfreund zu ziehen. Jetzt steht er vor der Tür der heruntergekommenen Wohnung seines Vaters im Prenzlauer Berg, entschlossen bei ihm einzuziehen. Der Vater, ein arbeitsloser Country-Fan, zeigt sich wegen eigener Probleme wenig begeistert. Als Sebastian merkt, dass es seinem Vater vor allem an der richtigen Strategie für eine erfolgreiche Bewerbung mangelt, springt er kurzerhand als Bewerbungscoach ein. Widerspenstig nimmt Marcel die altklugen Ratschläge seines Sohnes an, und tatsächlich entwickeln sich die beiden zu einem Team. Das besondere Verhältnis zwischen Vater und Sohn wird jedoch auf eine Probe gestellt, als Sebastian seinem Vater die schöne Nora vorstellt…
Quelle: 55. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Eines Tages steht Sohn Sebastian vor Marcels Tür. Der Fünfzehnjährige sucht Zuflucht vor familiärer Bevormundung: Seine Mutter hat nicht nur einen neuen West-Mann samt idyllischem Stadtrand-Eigenheim, sondern trägt auch (s)ein Baby im Bauch. Doch Sebastian findet sich in der heruntergekommenen Wohnung des perspektivlosen Papas selbst plötzlich in der Rolle des Erziehers wieder – eine unfreiwillig komische Vater-Sohn-Beziehung mit vertauschten Rollen.
Sebastian ertüchtigt seinen bis dato alkoholabhängigen Erzeuger beim Basketballspielen im Mauerpark, räumt das versiffte Ladenlokal auf und verpasst ihm gleich noch einen mediterranen Wohlfühl-Anstrich, klärt Marcel über die neue Rechtschreibung auf und liest dessen Bewerbungsschreiben Korrektur. Doch der solchermaßen – von der Körperhaltung über die Gesprächsführung bis zu einzelnen Formulierungen - für künftige Vorstellungsgespräche gedrillte Vater protestiert lieber („Ich muss mich doch nicht nach zwei Jahren vollnölen lassen“, „Klingt ja schon wie Mutti“) und lamentiert endlos über richtige Personenschutz-Strategien.
Marcel bleibt zunächst der Träumer, der mit einer Pistole im Schulterhalfter aufs Rad steigt, um sich im Regierungsviertel am Spreebogen – aus seiner Sicht ganz unauffällig – unter die echten Personenschützer zu mischen. Andererseits holt er die Pasta nicht mehr aus der Bude um die Ecke, sondern kocht selbst, und seien es Ravioli aus der Dose. Was schließlich Sinn der Sache aus Sicht Sebastians ist: Vater Marcel soll endlich dafür sorgen, das Kohle rein- und Essen auf den Tisch kommt.
Sebastian lernt auf der Treppe im Hausflur zufällig ein junges, in etwa gleichaltriges Mädchen kennen, die Zeitungen austrägt und Prospekte verteilt. Nora hat Gefallen an ihm gefunden, notiert ihre Telefonnummer auf den Prospekt, den sie in Werners Briefkasten wirft. Die beide treffen sich am Mauerpark, bei ihr auf dem Dachboden – aber Sebastian ist noch nicht so weit wie Nora. Das zarte Verhältnis wird auf eine harte Probe gestellt, als Sebastian seiner neuen Freundin den Vater vorstellen will – ausgerechnet als toughen Sicherheits-Profi. Dabei war dieser doch erst kurz zuvor im Einkaufszentrum beim Kauf einer Krawatte ausgerastet, als er sich von einem hochnäsigen Verkäufer ungerecht behandelt fühlte. Marcel ist noch nicht so weit, doch mit Sebastians Hilfe könnte es noch was werden...
Väter können, zeigt Robert Thalheim in seinem Seminarstreifen an der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“, von ihren Söhnen eine Menge lernen. Und Söhne können ihre Väter manchmal kaum ertragen, während sie ihren Freundinnen mehr von ihren Vätern versprechen, als diese halten können. Um dieses Brutto-Netto-Verhältnis dreht sich das bei der Berlinale-Premiere im Prenzelberger Kinozentrum Colosseum heftig umjubelte Regiedebüt des Rosa von Praunheim-Schülers Robert Thalheim, das zuvor beim Saarbrücker Max Ophüls-Festival bereits mit dem Förderpreis ausgezeichnet worden war.
Der Film handelt von Hoffnung und Enttäuschung, von falschen Träumen und richtigen Gefühlen, von der ersten Liebe und den scheinbar letzten Möglichkeiten. Und von den Alternativen, die es zu besagten letzten Möglichkeiten gibt, auch wenn sie zunächst wenig zielführend erscheinen. Wie bei Sebastian, der in punkto Patchwork-Familie vom Regen in die Traufe kommt, als er sich gegen die Mutter und für den Vater entscheidet. Und bei Vater Marcel, der nun zwar in der Lage ist, jede noch so brenzlige Situation in einem Bewerbungsgespräch zu meistern, aber dennoch keinen neuen Job findet. Von dem Plan, ein eigenes Personenschutz-Unternehmen zu gründen, ganz zu schweigen. Win-Win-Situationen sehen anders aus. Und dennoch gelingt es Leinwand-Newcomer Milan Peschel alias Marcel Werner, sich die Herzen im Sturm zu erobern – das seines Sohnes Sebastian und die der Zuschauer.
„Netto“ erzählt aber nicht nur von der Liebe zwischen Vater und Sohn, sondern auch von der eines 30-jährigen, aus dem gutbürgerlichen Spandauer Westen stammenden Regisseurs zur DDR-Country-Legende Peter Tschernig. Dem „Johnny Cash des Ostens“, dessen Song „Mein bester Kumpel ist mein Vater“ zum Soundtrack des Films avanciert und der am Ende selbst an der Seite Milan Peschels einen kleinen Leinwand-Auftritt hat, wird hier ein Denkmal gesetzt. Der Vergleich zur US-Ikone ist zwar entschieden zu hoch gegriffen, sympathisch bleibt die Absicht Thalheims dennoch. Wie der ganze Film, der binnen dreier Wochen ohne festes Budget entstand.
Pitt Herrmann