Eine deutsche Karriere. Rückblicke auf unser Jahrhundert
Die letzte Ehre?
Henryk Goldberg, Wochenpost, 6.5.1988
(…) Film erzählt sachlich, chronologisch. Wer Sinn hat für die leise Sprache der Bilder, wird manches entdecken: Dönitz hält eine Rede in einem Ausbildungslager der faschistischen Jugendorganisation Marine-HJ, erzählt den blauen Jungs launig, daß deutsche U-Bootfahrer dem Teufel den Bart abzuscheren vermögen. Die Knabengesichter leuchten in gläubiger Verzückung der Hölle entgegen: Laßt uns deutsche Männer werden. Im Februar "45 hält der Großadmiral wieder eine Rede vor Marine-Einheiten, vielleicht ist mancher der Jungen von damals darunter, so er am Leben geblieben, ein Mann geworden war: Die Gesichter blichen jetzt skeptisch, die Gläubigkeit ist aus ihnen gewichen. Ihr Großadmiral aber ist Feuer und Flamme für den Kampf, in den er sie schicken wird.
Dennoch, dieser Film hat auch seine Schwierigkeiten, die Brisanz seines Themas kann nicht dazu verleiten, die Probleme seiner Gestaltung gering zu achten. Denn schließlich hängt Maß auch mit Anspruch zusammen.
Darum: Der Film ist zu lang. Das kilometerweise zur Verfügung stehende Archivmaterial birgt eine Verführungskraft, der sich das Team wohl nur schwer zu erwehren vermochte. Doch die Wirkung der gleichartigen Bilder verschleißt zunehmend, der Eindruck, den die Sequenzen im Empfinden des Betrachters hinterlassen, wird streckenweise matter. Die Orientierung auf Dönitz als eine Art Medium, eine Stellvertreter-Figur deutsch-nationalen Militarismus führt notwendig dazu, den Mann immer mal wieder aus den Augen zu verlieren, das Umfeld abzusuchen. Schwer zu sagen, wo die Punkte sind, da der Film zu weitläufig wird, wo ihm die Konzentration abhanden kommt, wo am Schneidetisch eine halbe Stunde herauszuholen wäre. So sehr ich die Autoren verstehe, die sicherlich von der Unverzichtbarkeit jedes Bildes, jedes Satzes überzeugt sind: Achtzig konzentrierte Minuten sind besser, also auch politisch wirkungsvoller, als 110 Minuten, die unscharf werden. Da verliert die Arbeit, ich sag"s mit allem Respekt, doch an Prägnanz, an merkbaren Eindrücken. Eine durchschnittliche Spielfilmlänge sollte auch einem überdurchschnittlichen Dokumentarfilm sein zeitliches Maß setzen.
Und noch etwas sei, gewissermaßen zögernd, angemerkt. Mir scheint, als fehle diesem Film ein wenig der Sinn für den Effekt; das Wort verstanden in seinem besten Sinne. Gerade grundsätzlich Bekanntes bedarf einer Art von Attraktion, die Bekanntes nicht anders, aber auf andere Weise interpretiert. Eine solche Stelle gibt es: Dönitz hält in der BRD eine Rede in einem Gymnasium, der Schülersprecher dankt ihm emphatisch-glühend. Und dann die Information: Der Name des jungen Mannes ist Uwe Barschel. Das ist eine politische Ästhetik der Lakonie, wie sie Heynowski und Scheumann zur Kunstform geführt haben.
Meine Einwände mindern nicht Respekt und Achtung gegenüber diesem Film, der nachdrücklich erinnert, welche Potenz das Dokumentarfilmschaffen unseres Landes besitzt.
Ein Mann wird 1981 begraben. In gemessener Würde folgt die ritterkreuz-geschmückte Trauergemeinde dem Toten. Die Schleifen der Kränze tragen Aufschriften: Dem letzten Reichskanzler. Die Kameraden der Waffen-SS. Ein Mann wird begraben, sein Geist lebt. Die letzte Ehre?