Schule
Vom Saufen, Kiffen und Poppen: Marco Petrys Spielfilmdebüt "Schule"
Rüdiger Suchsland, Frankfurter Rundschau, 06.12.2000
Jeder ging zur Schule. Und jeder kennt die Melancholien der Erinnerung, für die das Kino geschaffen ist wie kein zweites Medium. Irgendwo zwischen "Feuerzangenbowle" und "American Graffiti" landet man da am Ende immer, wenn es gut gelaufen ist jedenfalls. Ansonsten lauert die Gefahr jener unsäglichen "Paukerfilme", mit denen man sich vor 30 Jahren amüsierte. "Schule", der von Bernd Eichinger produzierte Spielfilm-Erstling des Münchners Marco Petry hat von allem etwas – am wenigsten glücklicherweise von den Paukerklamotten – , passt aber so recht in kein Schema. Vielleicht liegt das daran, das Petry zu jung ist, um jener Dialektik der Verklärung aufzusitzen, der ältere Regisseure im Rückblick auf eigene Jugenderlebnisse gern verfallen.
Die bekannten Klischees kommen in dieser Komödie nur in Kurzform vor, Lehrer interessieren fast gar nicht. Anstatt Schulgeschichten zu erzählen, aus missglückter Abiprüfung, garstigen Eltern, oder dem "Verliebt in den Lehrer"-Motiv kleine Melodramen zu stricken, benutzt Petry das Gymnasium nur als Hintergrund.
Der Beginn ist am schwächsten. Zähe zehn Minuten braucht Petry, um überhaupt hineinzukommen in seinen Film. Dann aber ist das knappe Dutzend Figuren vorgestellt, und es kann losgehen: Ein Tag im Leben einer Gruppe von Abiturienten, zwei Wochen vor ihrem letzten Schultag. Markus (Daniel Brühl) hat Streit mit seiner Freundin Sandra (Jasmin Schwiers). Er trifft sich ohne sie mit seiner Clique, sie verbringt die Zeit mit dem notorischen Verführer Stone (Niels-Bruno Schmidt). Am nächsten Morgen werden sie sich wieder versöhnen. Bis dahin streift man durch die Kulissen einer Jugend in der Provinz: Klassenräume und Pausenhof, Supermarkt und See, Jugendzimmer und Partykeller. Eine Geschichte wird nicht erzählt, stattdessen eine Atmosphäre erzeugt: Nicht auf die Story kommt es an, sondern auf die Stimmung. Insofern hat Petry die Gesetze des Kinos weit besser erkannt als viele ältere Kollegen. Tatsächlich ist es vielleicht das Bemerkenswerteste an diesem Film, was er alles nicht macht: Kein in schrecklichen Spät-Pubertätskrisen verhafteter Jüngling muss hier endlich sein "erstes Mal" erleben, kein Schwuler darf als fleischgewordener Ausdruck der gesammelten Korrektheiten des Regisseurs herhalten.
Dafür kennt der Regisseur, wovon er erzählt, und das ist im deutschen Film schon eine Menge. So zeigt er ein Bild zeitgenössischer Jugendlicher, dass bei allen dramaturgischen Klischees weitaus realistischer ist, als die Gleichaltrigen aus "Harte Jungs", aber auch aus "Vergiss Amerika". Wie in "Crazy" tummeln sich Jungs und Mädchen am liebsten am See, doch statt philosophischer Gespräche frönt man hier lieber konkreten Genüssen: Diese Abiturienten saufen, kiffen, "poppen" wie in Wirklichkeit. Auch der Ton der Dialoge "stimmt" meistens. So erlebt man die stinknormale, hedonistische Bundesrepublik, ohne Leitkultur, ohne Neonazis und ohne BSE-Debatte, unpolitisch und beliebig. Das wird aber zur Tugend, wenn der einheimische Film allzu oft nur zwischen zwei Extremen zu schwanken scheint: anbiedernder Nachahmung amerikanischer Vorbilder oder aufgesetztem Bemühen um Originalität oder moralisch-politische Position.
Nostalgie zelebriert Petry nur am Ende, wenn es gilt den notwendigen Abschied von der Jugend zu predigen. Da läuft dann plötzlich auch Supertramps elegischer Uralt-Song "School", und man fragt sich für einen Augenblick, ob sich etwa seit 20 Jahren gar nichts geändert habe. Hat es aber doch.