Weltmarktführer - Die Geschichte des Tan Siekmann
Weltmarktführer – Die Geschichte des Tan Siekmann
Reinhard Lüke, film-dienst, Nr. 3, 03.02.2005
Es war einmal ein Teenager aus der hessischen Provinz, der sich für kaum etwas anderes als seinen Computer interessierte. Bereits als 17-Jähriger verkaufte Tan Siekmann eine selbst entwickelte Software an Mercedes-Benz und verdiente damit stolze 60.000 Mark. Seine flugs gegründete Firma taufte er auf den Namen Biodata. Die beschäftigte bald ein Dutzend Mitarbeiter und spezialisierte sich auf Sicherheits-Sofware für den boomenden Datentransfer rund um den Globus. Im Jahr 2000, auf dem Höhepunkt des E-Commerce-Fiebers, ging Biodata an die Börse und schaffte den erfolgreichsten Start in der Geschichte des deutschen Aktienhandels. Plötzlich war der mittelständische Betrieb mit gerade einmal acht Mio. Euro Jahresumsatz rund zwei Milliarden Euro wert, und der Firmengründer, inzwischen Mitte 30, ließ sich als deutscher Bill Gates feiern. Doch nur eineinhalb Jahre später, im November 2001, fand der Traum ein jähes Ende: Biodata musste Insolvenz anmelden.
Die Geschichte von Biodata steht exemplarisch für die wenigen Jahre des – rückblickend geradezu grotesken – Börsenbooms, der Ende des vergangenen Jahrhunderts nicht nur in Deutschland selbst Otto Normalverbraucher ungeahnte Reichtümer verhieß. Vor allem, wenn er Papiere der so genannten New Economy erwarb. Was bekanntlich dazu führte, dass von Analysten-Prophezeiungen vernebelte Kleinanleger so ziemlich alles kauften, wenn die Unternehmen nur irgendwie mit Medien, Internet und E-Commerce zu tun hatten. Wobei diese zum Zeitpunkt des Börsengangs in manchen Fällen kaum mehr als ein dreiseitiges Unternehmenskonzept und einen Telefonanschluss zu bieten hatten. So gesehen, konnte Biodata seinerzeit als ein vergleichsweise grundsolides Unternehmen gelten.
Der Film von Klaus Stern ist weder eine Rekonstruktion noch eine Analyse dieses wundersamen Börsenbooms (obwohl er als Hintergrund stets präsent ist), sondern in erster Linie ein Annährungsversuch an jenen nicht minder wundersamen Tan Siekmann in den Jahren nach seinem ökonomischen Kollaps. Ein Jahr lang begleitete Stern den prominenten Ex-Milliardär mit der Kamera und dokumentierte dabei vor allem seine vergeblichen Bemühungen, mit einer neuen Firma zu reüssieren. So sieht man Siekmann immer wieder, wie er Mitarbeiter vertröstet, die seit mehreren Monaten auf ihr Gehalt warten. Wobei ein ominöser Großauftrag aus Fernost, der die Rettung bringen soll, fast schon zum Running Gag des Films wird. Mal heißt es, der Abschluss stehe unmittelbar bevor, dann ist plötzlich der asiatische Kontaktmann verschwunden, und alles beginnt wieder von vorn. Derweil findet der Firmenchef aber durchaus Zeit für private Vergnügen. Mal testet er auf einer Automesse das neueste Porsche-Modell, mal sieht man ihn bei einem Klassentreffen mit ehemaligen Mitschülern, die wenig Vorteilhaftes über ihn zu berichten haben. Dann steht er wieder, ganz Geschäftsmann, auf der Cebit und schwärmt vom "neuen Geist", den er in seinem Unternehmen ausgemacht haben will.
So setzt Klaus Stern hier ohne jeden Off-Kommentar das faszinierende Puzzle eines wundersamen Zeitgenossen zusammen. Denn eigentlich mag man kaum glauben, dass dieser Mann, der mit seinem teigigen Gesicht und den linkischen Bewegungen noch immer Züge eines Riesenbabys hat, vor gerade einmal vier Jahren Deutschlands Vorzeige-Unternehmer Nummer Eins gewesen sein soll. Er sei "wie ein Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hat", sagt der Insolvenzverwalter über den Mann, der Comic-Socken noch immer für ein Zeichen von Humor und Lockerheit hält. Wo dieses Bild so gar nicht zu jenem Tan Siekmann passen will, der – wie in Archiv-Bildern zu bestaunen ist – seinerzeit von Bankern und Medien hofiert wurde, bekommt die Figur etwas Exemplarisches. Das Maß an Realitätsverlust, das Siekmann offenbar charakterlich eigen ist, war nicht minder ein Wesensmerkmal des absurden Börsenbooms. Warum Siekmann den Dokumentarfilmer Stern so nah an sich heran gelassen hat, sich auch in vermeintlich intimen bis peinlichen Momente filmen ließ, ist Teil des Mysteriums Siekmann. Da mischt sich offenbar sein unverkennbarer Hang zur Selbstdarstellung mit einem missionarischen Sendungsbewusstsein und dem grundsätzlichen Fehlen von Selbstzweifeln jeder Art. Klugerweise verzichtet der Film bei allen Elementen der Realsatire jedoch gänzlich darauf, seinen Protagonisten vorzuführen, was fraglos ein Leichtes gewesen wäre. Gerade diese kluge Zurückhaltung macht den Dokumentarfilm zu einer ebenso spannenden wie kurzweiligen Charakterstudie.