Die Rollbahn

Deutschland 2002/2003 Dokumentarfilm

Die Rollbahn

Dokumentarfilm über Zwangsarbeiterinnen am Frankfurter Flughafen


Manfred Riepe, epd Film, Nr.1, 02.01.2004

"Das letzte Mal, als wir hier waren, sind wir im Viehwaggon angekommen", erklärt Silvia Lowy. Sie ist eine von 1.700 jüdischen Zwangsarbeiterinnen, die im Sommer 1944 auf dem Weg in die Gaskammer in Auschwitz abgezogen wurden, um in einem so genannten "Außenlager" nahe Frankfurt stationiert zu werden. Einen Steinwurf entfernt von Hitlers propagandawirksamer Autobahn bauten diese Frauen die erste betonierte Rollbahn des dortigen Flughafens, auf der das erste Düsenflugzeug der Welt – so hofften die Nazis - zu kriegsentscheidenden Einsätzen starten sollte.

In ihrem Dokumentarfilm "Die Rollbahn" zeichnen Malte Rauch, Bernhard Türcke und Eva Voosen nicht nur die Geschichte dieser Frauen nach, von denen bei Kriegsende nur 200 überlebt hatten. Das faktenreiche filmische Puzzle ist zugleich eine immense Wühlarbeit, in deren Verlauf auch der ebenso defizitäre wie typische Umgang mit der Nazivergangenheit erneut sichtbar gemacht wird. Denn bevor in den siebziger Jahren drei agile Jung-Kommunisten Spuren des Lagers wiederentdeckten, wollte in dem Frankfurter Vorort Mörfelden-Walldorf niemand etwas von der Existenz des Lagers wissen. Einen süffisanten Seitenblick wirft der Film unterdessen auf jene Demonstranten, die 1984 gegen die Startbahn West protestierten und von dem Lager meist auch nichts wussten.

Die allmähliche Verfertigung eines Gedächtnisses, die der Film als Wiederkehr des Verdrängten lesbar macht, kann offenbar nur die Form eines Symptoms haben. Beeindruckend zeigt dies der Hauptstrang des Films, der die erste Wiederkehr von 19 überlebenden Frauen dokumentiert, die, von der Stadt Mörfelden eingeladen, im Herbst des Jahres 2000 ein Freilichtmuseum einweihten. Dass die Frauen aus Auschwitz ausgerechnet auf jener Landebahn in Frankfurt ankommen, mit deren Bau sie 56 Jahre zuvor begonnen hatten, ist ein Faktum, das der Film ebenso wie viele andere Informationen zu einer subtilen Polemik zuspitzt.

Diese politisch ambitionierte Haltung, unter Dokfilmern nicht unbedingt selbstverständlich, haben Rauch und Voosen schon in zahlreichen Filmen entwickelt, in denen sie die Abschaffung der Armeen fordern, den Völkermord von Ruanda oder die Verflechtung zwischen Regierungen und Söldnerfirmen untersuchen. Und lange bevor Michael Moore mit seiner Methode der Konfrontation den verdienten Ruhm erntete, hat Rauch Manager der Uhrenfirma "Junghans" vor der Kamera auf ihre explosiven (Neben-)Verdienste mit Landminen angesprochen.

Darüber hinaus sollen Bruch- und Nahtstellen zwischen Vergangenheit und Gegenwart sichtbar werden: Ein Vertreter der Baufirma Züblin, die seinerzeit der SS vier Mark pro Frau und Tag für den Bau der Rollbahn zahlte, ist nicht bereit, vor der Kamera auch nur einen Funken des Bedauerns einzuräumen. Geschichte, so der Gesamteindruck, ist nie abgeschlossen; sie enthält stets Unabgegoltenes. Vor diesem Hintergrund erwecken die ständig ins Bild ragenden Flugzeuge auf dem Frankfurter Airport – wenn man sie mit dem Viehwaggon zusammendenkt – ganz andere Assoziationen als üblicherweise.

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