Schwarze Schafe
Schwarze Schafe
Jens Hinrichsen, film-dienst 16/2007
Wenn man dem Schweizer Oliver Rihs ("Brombeerchen", 2001) und seinen fünf Mitautoren unterstellt, dass sie eine Art "Pulp Fiction"-Menü zwischen Moabit und Müggelsee anrichten wollten, haben sie dieses mutmaßliche Ziel nur einmal, nämlich bei den Teufelsanbetern, erreicht. Andere Episoden kranken streckenweise an inhaltlicher Schlaffheit; mal mangelt es ihnen an Glaubwürdigkeit, mal an Notwendigkeit, wie etwa bei der Geschichte von zwei Jungs, die sich über ihre revolutionären Ziele streiten, dann gemeinsam einen Umzugsjob antreten und dabei ein zerstrittenes homosexuelles Paar wieder zusammenbringen. Schwule, häufige Wohnungswechsel, halbherziges Revoluzzertum – in diesen Szenen wird eher ein Berlin-spezifisches Pflicht- und Klischeeprogramm abgehakt, statt dass ein schlüssiger Erzählstrang geknüpft würde. Obwohl man auf die Quirligkeit von Robert Stadlober und Tom Schilling ungern verzichten möchte. Mehr Drehbuch-Biss wäre der für einen Low-Budget-Film erstaunlich prominent besetzten Schauspielerriege ohnehin zugute gekommen. So oder so gelingt indes Bruno Cathomas ein eindringlicher Auftritt als Boris’ gutmütig-zaghafter Kumpel Roger, der im Affekt dann doch das Hackebeilchen schwingt, wie es dem Wunsch des Versicherungsbetrügers entspricht. Oktay Özdemir, der in Züli Aladags "Wut" (2005) und in Detlev Bucks "Knallhart" (fd 37 503) brillierte, gibt diesmal eine sympathische Lightversion des Krawall-Kanaken, der ziemlich viel einstecken muss und mit zwei blauen Augen davonkommt. Und auch Milan Peschels die Wodkaflasche schwingender Peter gehört zu den darstellerischen Glanzlichtern des Films.
Die für Berlin typische Schnoddrigkeit verdankt sich wahrscheinlich der Tatsache, dass die meisten Darsteller wirklich vor Ort leben und einige davon aus Frank Castorfs Ensemble der Volksbühne stammen. Auch gefällt an dem in Schwarzweiß mit wenigen Farb-Akzenten gedrehten Film (sehr gute Hand-Kameraarbeit von Olivier Kolb), dass hier ein ausgewogenes Bild des urbanen Raums zwischen hektischer Großstadtkakophonie und Momenten meditativer Stille entworfen wird. In einem Finale, das die Episoden überzeugend miteinander verschränkt, finden die Protagonisten schließlich, was sie eigentlich gar nicht gesucht haben und was ihnen insgeheim wohl doch die ganze Zeit vorschwebte: die Ruhe nach den Alltagsstürmen. Am Schluss liegen die abgehackten Finger säuberlich in einer Frischhaltetüte, ist die Spree warm genug für ein Bad zu zweit, der Melissentee in der Wohnküche so sonnenklar, wie die Zukunft es nie sein wird. Das Türkentrio schließlich erwacht aus dem Drogenrausch und findet sich auf einem Floß wieder, das auf dem lauschigen Müggelsee zwischen Frühnebelschwaden dahintreibt – ein fellinesker Ausklang in der Tradition von "La Dolce Vita" (fd 4488)". "Natur is’ immer da", pfeift Birol durch die Zahnlücken und fügt begeistert hinzu: "Ist das nicht geil, Jungs?" Und für einen Moment hat er glatt den Stress, den Sex und die Kohle vergessen.