Inhalt
Der erste DEFA-Film zum Thema Homosexualität in der DDR. Philipp, latent schwul, ist Lehrer. Seine Kollegin Tanja verliebt sich in ihn, und er zieht zu ihr. Bei ihr trifft er einen früheren schwulen Freund, den er einst auf Drängen seiner Eltern verlassen hatte. In dieser Situation wird ihm seine jahrelang unterdrückte sexuelle Neigung wieder bewusst. Bei einem heimlichen Besuch einer Schwulenkneipe verliebt er sich in Matthias, hält dies aber lange vor Tanja geheim, ebenso verschweigt er Matthias, dass er mit einer Frau zusammenlebt. Die Situation eskaliert, als Tanja Philipp in zärtlicher Umarmung mit Matthias beobachtet. Philipp muss sich nun outen sowohl gegenüber seiner Freundin Tanja als auch gegenüber seinem Freund Matthias. Dieser, zutiefst enttäuscht, unternimmt einen Suizidversuch.
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Diesem Matthias Seifert, so heißt der Notfallpatient, muss der Magen ausgepumpt werden. Weil er sich hat das Leben nehmen wollen. Eine ebenso junge Krankenschwester kümmert sich rührend um ihn, versucht ihn zu beruhigen – und den Grund für den Suizidversuch zu erfahren. „Ich bin schwul“ lautet die schlichte Antwort.
„Coming out“, Heiner Carows sehr sensible, bisweilen geradezu poetisch erzählte Liebesgeschichte, die auch für die bereits ausgehende DDR mutig genannt werden muss und wohl vor allem deshalb 1990 auf der Berlinale mit dem „Silbernen Bären“ belohnt wurde, beginnt mit harten, realistischen Bildern und einem Ende, das, so zumindest die offizielle Version, als Plädoyer für die Toleranz gegenüber der Homosexualität angesehen werden kann.
Zurück auf Anfang. Philipp Karmann bringt als neuer Klassenlehrer einigen Schwung in die Oberschule. Was den unkonventionellen Unterricht betrifft, den offenen, ja kameradschaftlichen Umgang mit seinen Schülern, aber auch bezüglich des Lehrerkollegiums. Nicht nur, weil sich nun einige ältere Pädagogen herausgefordert fühlen von den Methoden des neuen Kollegen und seinem jugendlich-frischen Auftritt.
Sondern auch, weil er im Eifer des Gefechts mit Kollegin Tanja zusammengestoßen ist. Der blutet die Nase, aber mehr noch hüpft ihr das Herz, denn Philipp ist beim Unifasching anno 1982 nicht nur der Schwarm aller Kommilitoninnen gewesen, sondern – unerklärterweise – auch ganz besonders der ihre. Nun kennt sie keine Hemmungen mehr und geht 'ran wie Blücher.
Diskothek, „Zauberflöte“ im Theater, trautes Beisammensein in ihrer schicken Wohnung: Das könnte 'was werden. Doch als Philipp seiner Mutter von seiner neuen Freundin berichtet, schaut die nur ungläubig bis mitleidig. Und dann das: Bei Tanja trifft er auf einen alten Schulfreund, Jakob, und der spricht von Briefen, die er vor zwei, drei Jahren geschrieben hat und die unbeantwortet geblieben sind.
Aus merkwürdigen Zufällen und leichten Irritationen wird Gewissheit, als Philipp einen Schwulen- und Lesben-Klub betritt, wie es ihn in der DDR wohl nicht ganz offiziell, aber doch legal gegeben haben muss. Zunächst zaghaft, so als ob er mit jeder Geste ausdrücken wollte, nicht dazuzugehören, setzt er sich an die Bar, hinter der vielleicht die einzige bekannte Ost-Berliner Szenegröße regiert – Lothar Berfelde alias Charlotte von Mahlsdorf. Und der Kellner Achim muntert ihn auf: „Musst keine Angst haben. Jeder hat 'mal so angefangen. Hab Mut!“ Nach einer langen, feucht-fröhlichen Nacht wird Philipp von Matthias ins Bett gebracht...
„Wir brauchen uns davor nicht zu schämen“: Wie um sich zu vergewissern stattet Philipp dem früheren – und schwulen – Schulfreund Jakob einen Besuch ab. Und verlässt Tanja heimlich in der Nacht, um noch Matthias' 20. Geburtstag zu feiern, welcher ihm im Kreis seiner Familie gesteht: „Ich glaub', ich hab' immer auf dich gewartet, zwei Jahre bestimmt.“ Doch nach einer heißen, für DDR-Verhältnisse sehr freizügig gefilmten Liebesnacht, kehrt bei Philipp wieder der Alltag ein. Und der heißt Tanja, die inzwischen ein Kind von ihm erwartet, und Schule. Samt Hospitation der Schulleitung, die offenbar Wind von den „Eskapaden“ ihres Junglehrers bekommen hat. Der radelt nach überstandener Unterrichtskontrolle am Ende durch die Hauptstadt der DDR...
„Coming out“ ist, um das noch einmal zu unterstreichen, ein mutiger Film, wenn man Ort und Zeitpunkt seiner Entstehung betrachtet. Dennoch lässt er zu viele Fragen offen. Es ist ja politisch korrekt, wenn in der Figur des Walter nicht nur ein lebensweiser Alter zu Wort kommt, sondern einer, der mit dem Rosa Winkel im KZ Sachsenhausen saß. Zumal er nach der Befreiung den Weg in die Kommunistische Partei gefunden hat, was die SED-Zensoren sicherlich als Pluspunkt bewerteten. Doch sollte die politisch-gesellschaftliche Toleranz-Frage nicht gerade bei einem jungen Lehrer gestellt werden, dem in seiner Klasse ein Junge gegenübersitzt, den er privat aus dem Schwulenmilieu kennt. Aus Wolfram Witts Drehbuch hätte man ein Melodram machen können, das die Geschichte eines individuellen Schicksals erzählt, aber keine paradigmatische, Allgemeingültigkeit beanspruchende Anklage gegen gesellschaftliche Vorurteile gegenüber homosexuellen Partnerschaften.
Vorhang zu und alle Fragen offen: Matthias will sich das Leben nehmen, und Philipp radelt, bei der Schul-Hospitation gerade noch davongekommen, in die konventionelle Zweier- und bald Dreiergemeinschaft mit Tanja und Kind. Oder ist der Prolog gar keiner, sondern Heiner Carow erzählt chronologisch? Dann radelt Philipp am Ende, vom Joch der bisexuellen Ehe ebenso befreit wie vom Zwang, Jugendliche täglich neu im Schulunterricht für den real existierenden Sozialismus begeistern zu müssen, auf geradem Wege in die Arme von Matthias. Das wäre was!
Pitt Herrmann