Faust
Faust
Axel Eggebrecht, Die Welt am Abend, Nr. 242, 16.10.1926
(...) Es fehlt die große Linie. Es fehlt jede Spannung. Alles geschieht drei- bis zehnmal. Mehrmals verkauft Faust sich an den Bösen, in vielerlei Etappen geschieht die Verführung Gretchens, die keine Steigerung, sondern eine Wiederholung bedeuten. Das ist alles von einer Breite, die schließlich tödliche Langeweile hervorruft. Dazu zermürbt eine knallig-laute Musik mit unaufhörlichen Pauken- und Posaunengriffen die Nerven des Beschauers, der am Schluß nicht erschüttert, sondern tief ermattet das Theater verläßt.
Die große Zerfahrenheit ist natürlich zum großen Teil Schuld des Regisseurs Murnau, der durch energische Manuskriptstriche viel hätte retten können. Er verliert sich an das einzelne Bildchen, an tausenderlei Einzelsituationen, bis der Zusammenhang manchmal fast verloren geht. Ein gewaltiger Rückschritt gegenüber seinem "Letzten Mann" ist unverkennbar.
Von den Schauspielern ist gleich der wichtigste, Gösta Ekman als Faust, ganz undiskutabel schlecht. Als Greis mit wallendem Bart und Öldruck-Patriarchengesten, als Liebhaber ein blasser weichlicher Junge ohne Ausdruck, manchmal peinlich steif wie ein Anfänger. Jannings ist noch nie so von allen seinen Gaben verlassen gewesen wie hier: ein Opernmephisto, übertrieben, mit so unbeherrschten, wilden Gebärden, daß er zuweilen wie eine Karikatur seiner Rolle wirkt. Ein paar sehr gute Momente hat Camilla Horn, vor allem als verlassene Mutter – wie denn diese einfach menschlichen Szenen, jenseits alles Wunderbrimboriums, überhaupt am besten im ganzen Film geraten sind. Dieser ihr erster Film zeigt die Horn unbedingt als eine der wenigen schauspielerischen Hoffnungen des weiblichen deutschen Nachwuchses. Leider ist sie oft sehr schlecht geschminkt und ungünstig photographiert. Ausgezeichnet aber ist die Marthe der Yvette Guilbert, der berühmten französischen Schauspielerin. Da ist mit wenigen, einprägsamen Gesten, mit blitzenden flinken Augen, mit einem gewissen bösartigen Humor, der jeden Augenblick bildhaft bleibt, eine Gestalt so klar und so interessant hingestellt, wie der ganze Film hätte sein sollen. (...)