Lissy

DDR 1956/1957 Spielfilm

Ein echter DEFA-Film


Klaus Wischnewski, Deutsche Filmkunst, Berlin/DDR, Nr. 6, 1957


(…) Konrad Wolf hat sich hier erneut als begabter, kluger und moderner Filmregisseur bewiesen und Werner Bergmann bewährt sich wieder als sein ebenbürtiger echter Partner an der Kamera. Sicher: man spürt an etlichen Stellen ihre Vorbilder. Aber wer so richtige Vorbilder zu finden und selbständig zu nutzen weiß, und wer so spürbar von Aufgabe zu Aufgabe eigenwilliger und prägnanter wird, ist auf dem besten Wege zu eigener Originalität. Noch spürt man bei Wolf hier und da in der Sprödigkeit mancher Dialogmomente, im Intensitätsgrad mancher Darsteller Unsicheres und Unausgeglichenes in der Schauspielerführung. Vor allem aber, wie mir scheint, in der Besetzung. Natürlich gibt es da gerade bei der Verfilmung eines Romans sehr auseinandergehende Meinungen.

Dieser Film, dem außerordentlich gute Bilder und Kameraarbeit, ein ausgeprägter Stilwille und gute Schauspieler ein so klares Gesicht geben, hat leider ein organisches Leiden, das sich m. E. auf viele Zuschauer negativ auswirken kann. Die schwierige Aufgabe für die Autoren des Drehbuchs bestand doch darin, das, was F. C. Weiskopf so fein, klug und überzeugend beschrieben und erzählt hat, nach Aussonderung durch Neukomposition sichtbar zu machen. Die Träume, die inneren Zweifel, der Kampf, das Hin und Her in Lissy, das widerspruchsvolle Auf und Ab Pauls, die Haltung des Vaters, die seine Kinder so und nicht anders beeinflußte, der äußere Auf- und innere Abstieg Fromeyers und der kontrapunktisch dagegengesetzte Weg Tonis und Max" – das mußte individuell und sozial motiviert und in dramatischen Situationen sinnfällig entwickelt werden, eingebettet in das scheinbar ausweglose soziale Milieu jener Monate. Vorbildlich für zwei Wege, eine solche Aufgabe dramaturgisch zu meistern, scheinen mir zwei Filme zu sein: Wolfgang Staudtes "Rotation" mit der sehr weiten, aber in genau und dynamisch aufgebauten Stationen komponierten Geschichte des Arbeiters Hans Behnke; und Pratolini/Lizzanis "Chronik armer Liebesleute" mit dem scheinbar zufällig geknüpften episodischen Bericht über eine scheinbar beliebige Straße im faschistischen Italien. Das Buch zum Film "Lissy" ist m. E. dramaturgisch unentschieden. Der klaren Filmerzählung über Lissy steht im Wege, daß sie eigentlich dauernd in gleicher Weise fröhlich und bedrückt, zugleich außen glücklich und innen unruhig ist, daß ihr Weg keinen eigentlich dramatischen Bogen hat und ihre Geschichte noch in zu viele Zusammenhänge gestellt ist. (…)


Ich weiß, man soll Filme nach Romanen nicht an Stoff- und Handlungsfülle der Vorlage messen. Aber man muß sie ja doch wohl messen an der Aussagekraft des Vorwurfs. Ich neige zu der Ansicht, daß das episodische Kaleidoskop die richtigere Form für die Verfilmung von Weiskopfs "Lissy"-Roman gewesen wäre. Der Film geht in vielem einen Schritt vorwärts – und er beweist wieder, daß der Fortschritt sich nicht auf den Bildausdruck und die Schauspielerführung beschränken darf, daß wir auf dem Gebiet der Dramaturgie vielseitiger, elastischer werden, aus Vorbildern und Erfahrungen viel lernen müssen.

Diese Einschränkung, so schwerwiegend, bedauerlich und lehrreich sie sein mag, kann natürlich einem Film, der menschliches Versagen, menschliche Wandlung und Bewährung im Angesicht des Faschismus in eindrucksvollen Szenen und Bildern auf die Leinwand bannt, seine eminente Bedeutung nicht nehmen. (…)

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