Das alte Gesetz
Das alte Gesetz
Film-Kurier, Nr. 244, 30.10.1923
(...) Man sieht: Paul Reno hat ein Manuskript geschaffen, das alle Bestandteile enthält, um dem Regisseur die Unterlage zu einem wirksamen Publikumsfilm zu geben.
Und E. A. Dupont hat auf dieser Basis ein recht geschmackvolles Bilderbuch gemacht, das die Schaulust des Zuschauers befriedigt, ohne ihr allzu große Konzessionen zu machen.
Selbst die bei der Anlage des Ganzen unvermeidliche Versöhnungsszene am Schluß, in der der alte Rabbiner, nachdem er seinen Sohn als Don Karlos gesehen, erkennt, daß es ein Irrwahn ist, einen Menschen, der ein Recht zur Verwirklichung seines inneren Gesetzes hat, unter das Joch eines alten Gesetzes beugen zu wollen, vermeidet alle aufdringliche Sentimentalität, die hier sehr nahe lag.
Es gelingt Dupont, die Atmosphäre der so verschiedenen Welten dieses Films sichtbar zu machen: das Ghettomilieu, das durch eine nahezu unübersteigbare Mauer von der Welt da draußen getrennt ist und diese Welt selbst; die hier anschaulich gemacht wird durch das Wien der sechziger Jahre, das getragen wird von den Rhythmen der Walzer eines Johann Strauß und dem das Burgtheater den Inbegriff aller Kunst schlechthin bedeutet.
Was Dupont gibt, ist eine Plauderei in Bildern, von Sentiment und beschwingtem Bildhumor, die durch Feinheiten im Detail stark interessiert, eine Plauderei, die doch nie zum Geschwätz wird. (Denn man kann nicht nur im Wort, sondern auch im Bilde geschwätzig sein.)
Was die Schauspielerregie betrifft, so ist es Dupont hier gelungen, ein Ensemble zu schaffen. Selbst Henny Porten fügt sich ohne Starallüren in den Rahmen. Ihre Erzherzogin ist um so charmanter, als sie diesmal ihren Charme nicht unterstreicht, ihr Humor um so liebenswürdiger, da er den Schein des Unbewußten auszulösen vermag. Uns selbst im Gefühlsausdruck bleibt sie in den Grenzen, die der Stil des ganzen Filmwerks erheischt.
Ernst Deutsch in der männlichen Hauptrolle löst die Illusion des bedeutenden Künstlers aus, was in diesem Falle alles bedeutet.
Avrom Morewski, den man sich von der Wilnaer Truppe in Warschau verschrieben hat: Sein Rabbiner hat nicht nur die ethymologische, sondern was wichtiger ist, die seelische Echtheit. Ein leidender Mensch ist dieser Rabbi, der sich durch Leiden zur Erkenntnis durchringt. Nicht zuletzt durch ihn werden die Szenen im Ghetto zu einem visuellen Erlebnis.
Robert Garrison stellt einen Schnorrertyp, der wie aus alten jüdischen Genrebildern in diesen Film versetzt zu sein scheint.
Hermann Vallentin gibt als Heinrich Laube seine bisher stärkste Filmleistung. Das ist in jedem Zuge der brummige Polterer, hinter dessen Rauheit sich Gutmütigkeit verbirgt, als der Laube in der Tradition fortlebt. Da ist eine Szene, in der der junge Schauspieler ihm vor Antritt des Engagements Probe sprechen muß, während Laube sein Frühstück einnimmt. Und in der Art, wie er die Kaumuskeln bewegt, reflektiert sich der Eindruck, den der Vortrag in ihm erweckt. Ein glänzender Regieeinfall, ein Meisterstück physiognomischen Könnens.
Jakob Tiedke (eine amüsante Striese-Figur), Grete Berger, Fritz Richard, Margarete Schlegel, Alice Hechy, füllen ihren Platz. Der Film kann als Prototyp eines kultivierten Unterhaltungsfilms gelten.