Der träumende Mund

Deutschland 1932 Spielfilm

Der träumende Mund


H. T., Lichtbild-Bühne, Nr. 217, 15.9.1932


(...) Nicht alle Elisabeth Bergner-Filme sind qualitativ gleich, aber jeder besitzt als Grundcharakter das Stigma des Erlesenen und des Außerordentlichen.

Die Spannung und die Konzentration der Gefühle, die jedem Bergner-Film innewohnen, sind etwas Einmaliges, das sich in keine Richtung eingliedern läßt. Die Filme der Elisabeth Bergner und ihres Regisseurs Paul Czinner sind ohne jeden Zweifel die individuellsten künstlerischen Leistungen auf dem internationalen Filmmarkt. Sie sind der Ausdruck starker Persönlichkeiten von einem Gestaltungswillen allereigenster Prägung.

Die Bergner die es vollbringt, das Thema, die Situationen, den Dialog ohne den allerkleinsten Leerlauf, mit ihrem eigenen Leben und Erleben zu füllen, hat in Czinner den Vorkämpfer und Wegbereiter gefunden, der den Rahmen, das Thema, die Gegenspieler stets soweit zurückdämpft, daß sie ein Schattendasein führen und von der darstellerischen Persönlichkeit der Bergner überstrahlt werden. Paraphrasen um das eigentliche Thema: die Bergner.

Nicht leicht, den Stoff zu finden, der seiner ganzen Anlage nach dieser unerbittlichen Bedingung entspricht. Henry Bernsteins Theaterstück "Mélo", diese modernisierte Bolvary-Story, war ein ausgezeichneter Griff. Seine Handlung ermöglicht es, die Bergner-Rolle durchaus zentral zu gestalten und beschäftigt sich mit einem Lebensausschnitt, der der inneren Anteilnahme weitester Kreise sicher sein kann. Eine Frau zwischen zwei Männern, eine Frau, die im Begriff steht, den guten Kameraden, den treuen Gatten, der sie anbetet, für den faszinierenden Fremden, für die einmalige bezwingende Passion zu verkaufen und zu verraten. Es gibt kein Frauenleben, dem dieser Konflikt erspart bliebe, es gibt aber auch – und hier liegt ein kleiner Rechenfehler Henry Bernsteins begraben – kaum eine Frau, die an dieser Klippe so elendig zerschellt wie Bernsteins kleine Gabriele. Hier werden Impulse und Gefühle, die rein männlicher Natur sind, einer Frauenseele imputiert. Schwer – um es kurz zu sagen – nehmen es nur die Männer: die Frauen haben immer recht!


Diesen Stoff, trotz der dargelegten inneren Disharmonie, mit bezwingender Glaubhaftigkeit vor uns aufzubauen, war die wohlgelungene Aufgabe Carl Mayers. Seine Konzentration auf das Wesentliche, seine fast wütende Zielstrebigkeit geht soweit, daß er die verschwindend wenigen Nebenfiguren, die er benötigt, fast lieblos überrennt, um zum Thema, zur Bergner, zurückzukommen. Was zu sagen ist, soll durch ihre Augen, durch die scheue Sprache ihrer Hände, durch ihr kindlich verspieltes Geplapper gesagt werden, Regisseur und Autor begeben sich freiwillig aller anderen Ausdrucksmittel und konzentrieren sich auf das eine, auf das einzige: – auf diesen träumenden Mund.

Die Bergner läßt sie nicht im Stich. In ihrer visionären und durchgeistigten Art formt sie mit nachtwandlerischer Sicherheit ein Menschenleben, dessen Glück, dessen Schmerzen und Ängste wir erschütternd miterleben …

Rudolf Forster bleibt dämonischer Statist in diesem Frauenroman. Anton Edthofer, neben den elementaren Offenbarungen der Bergner, ein fleißig bemühter Darsteller. Bemüht, ulkige Treuherzigkeit, kindhafte Anhänglichkeit zu gestalten, was ihm außerordentlich gelingt; später dann bemüht, den Lebenskameraden zu schildern, dem in düsterer Krankheit Trost und Licht nur von jener Frau kommen kann, die daran zugrunde geht, daß sie ihn, dem unwiderstehlichen Befehl ihres Herzens folgend, im Stich lassen soll. Hier findet er nicht den Ton, der restlos überzeugen könnte.

Nicht alle Bergner-Filme sind gleich, aber dieser ist wie alle anderen ein ergreifendes Kunstwerk und darüber hinaus von erschütternder Lebensnähe. Himmelhoch über dem Niveau der Durchschnittsproduktion, geadelt von reifster Könnerschaft, allen Bergner-Freunden eine tiefe und reine Herzensfreude.

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