Der Campus
Professor Unrat
Christiane Peitz, TIP Magazin, Nr. 4, 1998
Dietrich Schwanitz, Autor des Bestsellers "Der Campus" und Koautor des Drehbuchs, spielt ihn persönlich, den Mathematikprofessor Nesselhauf. Eine kleine, aber entscheidende Nebenrolle. Nesselhauf ist Mitglied des Disziplinarausschusses und lauscht im überfüllten Hörsaal der Universität Hamburg den Ausführungen der Psychologin, die die Aussage der Studentin Babsi kommentiert. Die hatte nämlich die Wahrheit gesagt: Ihr Soziologieprofessor Hackmann hat sie nicht vergewaltigt, nein, sie selbst drängte ihn dazu, es noch einmal, ein letztes Mal, auf dem Schreibtisch mit ihr zu treiben.
Die Psychologin deutet das Geständnis als sein Gegenteil: als Beweis für eine Vergewaltigung. Sie spricht von Traumatisierung, Vaterersatz und Identifikation mit dem Aggressor. Darauf stellt Nesselhauf / Schwanitz eine einzige, vernichtende Frage: "Wenn es genauso gewesen wäre, wie die Patientin behauptet, wie hätte sie es dann ausdrücken müssen?" Die Pointe sitzt, die Fachfrau verstummt; Schwanitz hat die Lacher auf seiner Seite. Merke: Psychologen sind doof, Feministinnen auch.
So funktioniert jede Pointe, jeder Gag, jeder Schlagabtausch in diesem Film: ob Frauen- oder Studentenbewegung, Chancengleichheit oder Ausländerintegration - all das erscheint ausschließlich als Perversion seiner selbst.
Nur die anderen; die Ewiggestrigen tragen die Punktsiege davon und allen voran Hackmann selbst, Heiner Lauterbach als attraktiver Intelligenzler, der den Leistungsverfall als Spätfolge der Bildungsreform anprangert und für die Universität der Eliten plädiert.
Aus der sensationsträchtigen Schlammschlacht um den Vergewaltigungsverdacht geht der gejagte Hackmann als strahlender Sieger hervor, als einzig Gerechter und sympathischer Aussteiger, der sich nach überstandener Hexenjagd mit Freund Norbert, dem Penner (Armin Rohde), am Noraseestrand in Frischluft und Freiheit ergeht.
Die Story knirscht schon im Roman derart in den Scharnieren, daß man ihr die Mühe anmerkt, einen Fall wie diesen - der einen möglichen Täter zum unschuldigen Opfer verklärt - überhaupt zu konstruieren. Für die Läuterung Hackmanns muß allen Ernstes ein Unfall seiner kleinen Tochter herhalten. Auf Nachtwache in der Intensivstation erkennt der bangende Vater die elementaren Werte menschlicher Existenz und hält postwendend vorm Disziplinarausschuß ein flammendes Plädoyer für die Wahrheit. Was für ein Schmarrn! Daß er immerhin eine Affäre mit seiner Studentin hatte, die er in schäbigster Macho-Manier zu beenden versucht, daß er seine Gattin (Sibylle Canonica) betrügt und seine geliebte Tochter belügt ist doch normal. Ein Spießer, der sich darüber moralisch empörte.
Apropos Political Correctness. Wäre die US-amerikanische Hybris auch hierzulande verbreitet, würde "Der Campus" immerhin eine reale Hysterie parodieren. Aber was David Mamet in "Oleanna" zum dramatischen Rededuell übersteigert, ist in der Bundesrepublik vorerst undenkbar: der Universitäts-Kodex erlaubter und verbotener Vokabeln genauso wie die spektakulären Mißbrauchsskandale um Staatsoberhäupter und andere VIPs. In den USA reiste Paula Jones, die Anklägerin Clintons, mit ihrem Friseur nach Washington - die dortige Medienwirklichkeit liefert längst ihre eigene Satire -, und der Präsident ließ inzwischen einen Hollywood-Produzenten als Berater einfliegen.
Eigentlich wollte auch Sönke Wortmann eine Gesellschaftssatire drehen: ein entlarvendes Porträt des Biotops Universität samt Filz, Klüngel und Seilschaften. Eine Farce über den Mißbrauch der Mißbrauchsdebatte. Und eine Abrechnung mit den Altachtundsechzigern, die auf ihrem Marsch durch die Institutionen zu den gleichen korrupten Intriganten verkommen sind wie ihre einstigen Gegner.
Immer wieder fährt die Kamera Tom Fährmanns durch die schier endlosen Flure der Unigebäude, verirrt sich im Labyrinth der Denkfabrik; erschauert in den hanseatischen Hallen der Macht. Aber der Mief, den "Der Campus" ausmisten will, haftet ihm selbst an.
Sönke Wortmann ist eben nicht Helmut Dietl und "Der Campus" nicht "Schtonk". Er führt keine grinsenden Fratzen vor, artikuliert keinen beißenden Spott, sondern bescheidet sich mit biederem Stammtischhumor. Wortmanns visuelle Komik bleibt auf dem abgeschmackten Niveau eines Altherrenwitzes. Gattinnen sind zickig, Sekretärinnen sexy und blond, die Frauenbeauftragte (Barbara Rudnik) auch, aber dazu noch fundamentalistisch verbiestert und blöd. Und Babsi - naiv und hysterisch - ist selbst schuld, was sonst. Nicht nur universitäre Männerbünde mißbrauchen die Protagonistin des Dramas für ihre politischen Ränke, das Drehbuch tut exakt das gleiche.
Der inkriminierte Schreibtisch-Fick wird obendrein aus männlich-voyeuristischer Sicht gezeigt, mit Babsis Kopf neben vibrierendem Füllfederhalter und einer bauchigen Lampe, die zum orgiastischen Höhepunkt scheppernd zerbirst. Die Bauarbeiter vorm Fenster, später Zeugen der Anklage, feuern den Professor begeistert an. Wortmanns Inszenierung nimmt die gleiche Haltung ein: die des grölenden Komplizen.
Klar, auch die Männer sind Schmierenkomödianten, bigotte Hochstapler, ehrgeizige Gschaftlhuber, gierig nach Posten, geil auf die Macht. Schwanitz" Roman führt dabei mit jedem Satz den blasierten Jargon der Geisteswissenschaften ad absurdum. Derart eingebettet, nehmen sich im Buch alle gleichermaßen jämmerlich aus. Der Film unterscheidet jedoch. Die politisch Korrekten bedienen Klischees, mehr nicht. Den konservativen Emporkömmlingen gönnt Wortmann mehr als bloße Stereotypen, dichtet ihnen amüsante Marotten und ein fröhliches Liebesleben an.
Vor allem Axel Milberg als Leiter des Disziplinarausschusses macht in seiner Erbärmlichkeit fast eine gute Figur, schwärmt für "Derrick", Andalusien, Stierkampf und vollführt, nachdem er den "Sex-Professor" mit einem schlichten "Derrick"-Zitat entlarvt hat, den gewitzten Dribbel-Schritt eines Toreros. Ohne die klammheimliche Parteinahme für solch verschwitzte Kleingeister wäre "Der Campus" eine passable Groteske. So wurde ein Machwerk draus.