Zur Chronik von Grieshuus
Zur Chronik von Grieshuus
W. H. (=Willy Haas), Film-Kurier, Nr. 37, 12.2.1925
(…) Es gibt Bilder von berückender Schönheit. Und kaum eines, in dem man die herbe, schwermütige Luft der Heide nicht fast körperlich einatmet. Seine (Arthur von Gerlachs, Anm. d. Red.) Heide lebt. Sie lächelt, sie zürnt, sie droht, sie liebt, sie schlummert, sie mordet. Mehr als einmal wirkt sie lebendiger als die Menschen, die in ihr agieren.
Und mit einem prachtvollen Einfühlungsvermögen haben die Architekten Herlth und Röhrig aus der graubraunen in der Blüte grauvioletten Heide die uralten moosgrauen Gebäude hervorwachsen lassen, als ob das ungeheure Alter das Gemäuer ganz mit Heideluft und Heidesäften durchtränkt aus ihm selbst ein Stück Heide gemacht hätte. Da ist Grieshuus, die Burg: breit, stark, schmucklos hingelagert, "baven de Heidkul", wie es in der Chronik heißt: mit den engen gespenstischen Gängen, den modrigen Treppen, mit seiner steinkalten, weiten, dunklen Burghalle. Da ist die uralte Dorfkirche, deren Patron der Herr auf Grieshuus ist: ein vollendet assimiliertes "organisches" Ganzes aus verschiedenen Stilarten; von der Gotik der Friedhoffront bis zum Barock der hölzernen, geschnitzten Patronatskanzel. Da sind die Strohkaten mit ihren Bienenkörben und Sonnenblumen, und weiter draußen in der Heide blühen die bienenumsummten Wachholderbüsche, der "Wachandelboom", das mystische Gesträuch der deutschen Sage, aus dessen Flammen der Märchenvogel Kywitt sich auffschwingt. Sie alle sind von altersher umwittert von den Gespenstern des Bruder-, des Kindes- und Vatermordes, und etwas von diesem gespenstischen Hauch weht auch um die Naturbauten dieser beiden einzigartigen Architekten (– auch ein gutes Stück der Heidelandschaft ist nämlich "gebaut"). Und manchen Personengruppen – etwa den Kirchgängern, dem Begräbniszug – wußte der Regisseur die keusche, reine Stilisierung altfriesischer Kirchenfenstermalerei zu geben.
Das alles ist allerersten Ranges.
Und in diesen Rahmen fügt sich die Darstellung im ganzen höchst harmonisch, wenn auch gewisse Dehnungen, und, wie hinzugefügt werden muß, schwankende, innerlich unsichere Dehnungen der Spielregie nicht unerwähnt bleiben sollen.
Vor allem gibt Rittner einen erschütternden Owe Heiken, der in jeder Bewegung zu Herzen geht: und seine Partnerin, die Matten (Gertrud Arnold) ist schon physiognomisch eine gotische Maske von eherner Großartigkeit. Überhaupt ist das Physiognomische die stärkste Detailleistung der Regie: ein Muster dafür ist das spitzige, eckige à-la-Mode-Paar Rudolf Forster und Gertrud Welcker, bis ins kleinste Gesichtsfältchen stilecht, wie einem zeitgenössischen Gemälde soeben entstiegen.
Die beiden Hauptpersonen nun habe ich seit Knabenjahren etwas anders im Gedächtnis. Dafür kann der Regisseur nichts – ich aber auch nicht. So z. B. lebt der Junker Hinrich in mir als ein Kerl mit einem riesigen buschigen Schnauzbart, und es ist allerdings nicht ganz leicht vorzustellen, daß ein Krautjunker jener Tage sich ausrasiert hätte. Und sein Gespons Bärbe dachte ich mir immer ganz hellblond, vielleicht rotblond, wie eben Friesenmädchen meist aussehen (– es steht übrigens auch im Buche so, glaube ich).
Nun ist aber Hartmann als Junker Hinrich so feurig und bildschön und zweifellos mädchenherzerfreuend, und Lil Dagover so sanft und lieblich und poetisch und publikumswirksam, daß gerade sie sicherlich am allerbesten gefallen haben und auch am besten gefallen werden; und schließlich ließe es sich sogar aus der Novelle selbst begründen, daß diese Bärbe, die von halb-unbekannter, vielleicht adeliger Herkunft ist, gar nicht dem Stamme der Heidebewohner angehört.
Bliebe noch das Manuskript von Thea v. Harbou.
Es ist außerordentlich geschickt, außerordentlich effektvoll, sozusagen "bühnenwirksam". Sie ist eine fabelhafte dramaturgische Technikerin, darüber kann gar kein Zweifel herrschen. Das kann nur jemand würdigen, der zuzeiten selbst sich einmal praktisch versucht hat. Diese einfache, durchsichtige, kontinuierliche Führung diese Steigerung am Schluß des zweiten Kapitels – –. Daran könnten unsere Dramaturgen alle, wie sie da sind, handwerklich eine ganze Masse zulernen. (…)