Oberst Redl
Die Erpressungen der Karriere
Wolfram Schütte, Frankfurter Rundschau, 03.04.1985
Der Trailer, der für "Oberst Redl" warb, annoncierte Schlimmes: gesoftete Bilder, hochdramatisches Gefuchtel und phrasenhafte Dialoge. Der fast dreistündige Film bestätigt die Befürchtungen nicht, welche seine Bild- und Tonzitate provozierten. Zwar badet er gelegentlich etwas zu sehr im Farbaquarell und manche Dialoge (vor allem in den Liebesszenen mit Gudrun Landgrebe) sind recht unglücklich; aber der ungarische Regisseur Istvan Szabo ist mehr als ein solider Handwerker, nämlich ein Könner, der den Charme des alten Kinos und seines Historienzaubers (vor allem wenn ihm wie hier, die architektonischen Zeugnisse des k. u. k. Imperiums zur Verfügung stehen) mit Eleganz und liebevollem Faible für atmosphärische Wirkungen zu handhaben weiß. Scheinbar ganz brav, ist er doch ganz schön subversiv.
Er hat das schon in seiner Klaus-Mann-Adaption von "Mephisto" bewiesen. In Cannes gewann er damit einen der Hauptpreise, in Hollywood einen Oscar und sein Hauptdarsteller Klaus Maria Brandauer war auf einmal ein Star, der gleich darauf zu James-Bond-Ehren kam.
Unverkennbar ist "Oberst Redl" der Versuch, den weltweiten Kino-Erfolg von "Mephisto" fortzusetzen. Das gleiche Team (Regisseur Szabo, Drehbuchautor Peter Dobai, Kameramann Lajos Koltei und Hauptdarsteller Brandauer) haben mit dem Westberliner Produzenten, Manfred Durniok, dem Österreichischen Fernsehen und dem ZDF sich dafür einen Stoff gewählt, der schon mehrfach das Interesse des Films und auch des Theaters gefunden hatte (John Osbornes "A Patriot for me").
Der Fall des Spionagechefs der k. u. k. Monarchie, der 1913 in Wien zum Selbstmord getrieben worden war, ist nie ganz aufgeklärt worden. Sicher scheint nur, daß die Gerüchte von seiner Doppelagententätigkeit Ablenkungsmanöver waren, die seine homosexuellen Neigungen ebenso vertuschen sollten, wie sein gefährliches Wissen von der defaitistischen Moral der Armee. Sie, der letzte Garant für den Zusammenhalt des gärenden Vielvölkerstaats, war so marode wie das verfallende Reich Franz Josephs. Der ungeduldig den Tod des greisen Monarchen erwartende Thronfolger Franz Ferdinand hatte putschistische Pläne, um das dem Untergang entgegentreibende zentraleuropäische Reich durch einen begrenzten Konflikt und ein gemeinsames Feindbild zusammenzuschweißen. Seine Ermordung in Sarajewo war der Funke, der das europäische Pulverfaß zur Explosion brachte und zum 1. Weltkrieg führte.
Auf historischen Dokumenten beruhe der Film nicht, sagt Szabo: "Seine Handlung ist ein Produkt der Phantasie, inspiriert durch die Geschichte unseres Jahrhunderts"; es sei eine "Version der Geschehnisse aus heutiger Sicht" und handele sich um eine "mögliche, durchaus vorstellbare" Geschichte des Obersten Redl "und aller, denen ein ähnliches Schicksal beschieden war".
Wie es ihm im "Mephisto" nicht um Gustaf Gründgens und die Nazis gegangen war, so im "Oberst Redl" nicht um die historische Figur und deren Wirklichkeit. Szabo zielt auf den Typus, der in politischen Zwangssystemen Karriere macht und mit deren inhumanem Preis konfrontiert wird.
Im "Mephisto" war es der Künstler, der Intellektuelle; in "Oberst Redl" ist es der mittellose, soziale Aufsteiger, der aus der untersten Klasse der gesellschaftlichen Pyramide kommt, durch "Gnadenerweis" vom Kaiser gefördert, schon als kleiner Junge, der sich mit einem Gedicht als Patriot hervorgetan hat, die Kadettenanstalt besuchen "darf" und bereits dort moralisch das Genick gebrochen bekommt, als er sich zwischen erpreßter Loyalität zu den Oberen und Solidarität mit seinen gleichaltrigen Kadettenzöglingen entscheiden muß. Um den geliebten Freund, Christoph von Kubinyi, vor der Relegation zu retten, denunziert er andere. Der sich selbst als "Judas" empfindet, wird dem Konflikt, der sein weiteres Leben immer wieder bestimmt, stets aufs neue zugunsten seines Fortkommens entscheiden.
Umgeben von "Vätern" (vom Kaiser über Generäle und Kommandanten abwärts), die den arbeitsamen, patriotischen Redl jeweils als "Ziehsohn" behandeln (als der er sich dann "bewähren" muß: klassenmäßig ist er schließlich ein Nichts, also muß er "Klasse durch Anpassung beweisen"), zwingt ihn sein Ehrgeiz zu einer immer strengeren Selbstverleugnung und – Unterdrückung. "Ich ist" nicht, wie Rimbaud postuliert "ein anderer"; Ich will, ja muß, hier um jeden Preis ein anderer sein. Ehrgeiz, Disziplin und Identifikation mit der Macht läßt ihn nicht nur zum "durchgreifenden" Subjekt werden, das die marode Armee und ihr zynisches, dünkelhaftes, moralisch verkommenes Offizierskorps durchjäten will (im Sinne der höheren Idee von der schützenden Monarchie); das drakonische Subjekt wird auch – als Spionage-Chef – zum Objekt im Kalkül der Höheren, Mächtigeren. Der letzte väterliche Förderer, der sich seiner annimmt – der Thronfolger (Armin Müller-Stahl) – wird ihn selbst zum Opfer seiner politischen Pläne machen, nachdem es Redl nicht gelungen war, das gewünschte Opfer zu präparieren.
Als Redl die Intrige begreift, die ihn zur Preisgabe seines bestgehütetsten Geheimnisses verführt hatte – seiner Homosexualität, deren Anrührung durch Berührungsgesten anderer Männer ihn jedesmal zurückzucken ließ –, sucht er die Provokation, indem er dem flüchtigen Geliebten militärische Geheimnisse aufdrängt.
Aber der öffentliche Prozeß, den er anderen Hochverrätern zugedacht hatte, wird ihm nicht gewährt. Mit infamem Sadismus bestimmt der Thronfolger ausgerechnet Redls insgeheimen Liebling Christoph dazu, dem Jugendfreund und langjährigen Kameraden die Pistole zum Selbstmord zu überbringen. Wie ein gefangenes Tier, das dem Käfig nicht mehr zu entkommen vermag, in dem es Karriere gemacht hatte, wütet Redl gegen sich – bis er sich den Fangschuß gibt.
So breit Szabo das historische Ambiente, die Riten von Militär und Bürokratie, das Klassen-, Rassen- und Kastendenken in der k. u. k. Monarchie (mit manchen Anleihen bei Joseph Roths grandiosem literarischem Abgesang „Radetzkymarsch") auffächert, so sehr wächst dem historischen Modell die Physiognomie gesellschaftlicher Mechanismen zu, die mit der alten österreichisch-ungarischen Monarchie nicht untergegangen sind. Das von Redl entwickelte System der Überwachung und Bespitzelung (dessen Gegenstand er pflichttreuest auch höchst selbst ist: "unaufrichtig" fügt er seiner Akte eigenhändig bei) hat selbst Karriere gemacht. Historisch vorgreifend, läßt Szabo sogar schon Spitzel mit Kameras auftreten.
Sicher ist "Oberst Redl" zu allererst ein Star-Film. Der seit seiner riskanten darstellerischen Gratwanderung als permanent schauspielernder "Mephisto" (der sich illusionärrischerweise für "Faust" hält) filmisch ungemein präsente Klaus Maria Brandauer, kann hier erst recht seinem mimischen Affen, der Mimikry, Zucker geben. Die Augen sind sein Kapital, mit dem er wuchert wie die Salzburger Confiseure mit Mozartkugeln: reichlich viel wird damit gerollt, geblitzt und versteckt. Die doppelte Buchführung auch dieses Lebens wird fast allein damit beschrieben (und gelegentlich überzeichnet).
Zwar ist "Oberst Redl" dramaturgisch bis ins Detail hinein fast ein Remake des "Mephisto"; Selbst-Plagiat wäre aber ein zu moralistisches Verdikt für den Wiederholungszwang, dem die Filmindustrie schon oft erlegen ist, wenn sie einen Geschäfts-Erfolg zu verbuchen hatte. Was an Szabos Regie-Handwerk besticht, ist nicht allein sein souveräner Erzählduktus: der Aufriß von Redls Kindheit, später eine ganze Reihe von wortlosen Sequenzen zeigen Szabos mühelosen Umgang mit filmischer Zeit und psychologischen Ambivalenzen in Personen.
Bestechender jedoch ist bei diesem brillanten Traditionalisten des klassischen europäischen Erzählkinos die sensitive Aufmerksamkeit für die feinsten Nuancen der Macht, für Struktur und Zeichensystem eines verklemmten, weil ungelösten männlichen Universums der gegenseitigen Gewaltanwendung. Es basiert auf Selbstverleugnung, Anpassung und Loyalität gegenüber der Macht, Abstufungen eines paternalistischen Divide et impera: Väter, die ihre "Söhne" in Schach halten; "Söhne", die ihren "Vätern" gleichen wollen; Ehrgeiz, der über Leichen geht und sie massenhaft produziert.
"Apa" (Vater) hieß 1967 Istvan Szabos zweiter Film, der ihn schon einmal weltberühmt gemacht hatte. Es war eine autobiographische Reflexion über das Erwachsenwerden eines Jungen, der sich von der erdrückenden Macht des väterlichen Vorbilds befreit. Ein ungarischer "Abschied von gestern", nah verwandt der Trauerarbeit von Alexander Kluges gleichzeitigem Debüt. Einer der Väter, von denen "Apa" auch Abschied nimmt, taucht nur als Porträt eines Plakates auf: Stalin.
Es wäre schön, Szabos frühes Meisterwerk (er war damals 29 Jahre alt) heute mit seiner jüngsten Arbeit vergleichen zu können, um zu sehen, wie sich dieser unpolemische, einfühlsame, diskrete Moralist der Aufrichtigkeit, dieser Kritiker des Opportunismus, treu geblieben ist und gewandelt hat. Aber "Apa" ist wohl längst in den Archiven der Gedächtnislosigkeit verschwunden.