Junimond
Junimond
Cornelia Fleer, film-dienst, Nr. 19, 09.09.2003
Es braucht etwas Zeit, bis man sich in Hanno Hackforts Erstling zurecht gefunden hat. Da ist dieser Ich-Erzähler im voice-over: Ein junger Mann sieht sich gleichsam selbst beim Einzug in die neue Wohnung zu und kommentiert seinen Entschluss, in die Provinz zu ziehen. Er wollte weg von allem. „Bei geschlossenen Augen mit dem Finger auf die Landkarte getippt.“ Mit schnellen Schnitten, mit Rückblenden und Parallelmontagen führt Hackfort seine Protagonisten ein. Paul, dargestellt von Oliver Mommsen, in dessen Gesicht manchmal etwas vom jungen De Niro aufscheint, sieht man in Rückblenden als KFOR-Soldat mit einem Freund beim Einsatz. Nele, Pauls Nachbarin, die hektisch frühstückt und zur Arbeit stürzt, stellt der Regisseur, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, in einer rasanten Parallelmontage vor. Paul, ein offenbar traumatisierter Ex-Soldat, flieht aus Berlin, um sich in der Provinz zu verkriechen. Nele lernt er kennen, als er sie eines Abends durch das Fenster ihrer Wohnung im Haus gegenüber beobachtet. Da entsteht von Fenster zu Fenster ein mit Filzstiften auf DIN A 4 Blätter geschriebener Dialog, der ein wunderbares Beispiel für die Möglichkeiten visueller Kommunikation im Zeitalter der SMS ist. Die engagierte Kindertherapeutin lebt ebenso zurückgezogen wie Paul. Sie ist eine Seelenverwandte, sagt der Ich-Erzähler, der die wortreichen Gespräche zwischen Paul und Nele kommentiert. Nele leidet wie Paul an einem Kummer, den sie verbergen will. Die sich zaghaft entwickelnde Beziehung nimmt indes eine jähe Wendung, als Paul an Leukämie erkrankt und bald darauf stirbt. Am Schluss kommentiert Paul seine eigene Beerdigung; seine Stimme berichtet, wie es Nele nach seinem Tod ergehen wird. „Warum ich ihnen das alles erzähle“, fragt er schließlich selbstkritisch und beschließt seinen Kommentar mit einem Kompliment für Nele.
Es ist nicht die Geschichte, es ist die Art und Weise, wie Hackfort sie erzählt, die den Film interessant macht. Dem Zuschauer wird einiges zugemutet an Sprüngen, Rückblenden, Parallelhandlung und Zeitraffern. Mal läuft das Filmbild, mal der Ton entkoppelt weiter, mal füllt der titelgebende Junimond die Leinwand, während der Dialog im Off weitergeht oder vom Soundtrack überlagert wird. Da lebt dann in den düsteren Bildern stellenweise mit dem gefühlsbetonten Klavier- oder Orgelspiel die Stummfilmästhetik wieder auf. Eine reizvolle Methode, um unnötige Dialoge kunstvoll zu vermeiden. Die höchst abwechslungsreiche Montage scheint wie aus einem Guss, selbst da, wo der Zuschauer in entscheidenden Momenten, wie der ersten Begegnung der beiden, drei Varianten des Geschehens angeboten bekommt.
„Junimond“ wirkt inspiriert, wenn Paul beispielweise am Anfang von seinen Bedürfnissen nach Abgeschiedenheit erzählt, dann erinnert das an das Kino des Wong Kar-Wai in „Chungking Express“ (fd 31 851). Dem gegenüber stehen ein paar umständlich erzählte Passagen. Damit Paul, der leidenschaftlich gerne kocht, Nele zum Essen einladen kann, müssen eine Menge Zufälle arrangiert werden, die das Zusammentreffen plausibel machen sollen. Dass Paul ein isoliertes Dasein führt, zeigen ebenfalls nicht die Bilder. Das ahnt auch Hackfort, weshalb er mehrfach verbale Hinweise auf Pauls Vereinsamung gibt. Das Tempo der Erzählung kommt der dramatischen Zuspitzungen zu Gute. So treiben schließlich die Schicksalsschläge Bild und Ton vorwärts. Man ist gerührt, hat aber keine Zeit, um Trübsal zu blasen. Vielmehr ist man damit beschäftigt, die vielfach geflochtenen Stränge der sensibel erzählten Geschichte auseinander zu halten. Die Co-Produktion zwischen Road Movies und dem WDR wurde von der Filmstiftung NRW gefördert. Tatsächlich ist etwas zwischen Kino und Fernsehen herausgekommen, das allerdings im Fernsehformat kaum seine Wirkung entfalten kann. Der Film muss auf die Leinwand, auch deshalb, weil der Abspann in so kleinen Lettern aufscheint, dass man auf dem Bildschirm kaum etwas entziffern kann.