Sumurun
Sumurun
Lothar Knud Fredrik, Film-Kurier, Nr. 195, 2.9.1920
(...) Vor zehn Jahren spielten bei Friedrich Feska mit die Schwestern Weisenthal – schlankbeinig stellten sie sinnenfrohe Geschöpfe des sonndurchglühten Orient hin. Spielten Schildkraut, der Alte, Moissi und Winterstein und die Konstantin mit.
Lubitsch hat eine erhebliche Umbesetzung vornehmen müssen: Pola Negri, die Schauspielerin, wurde die Tänzerin Jenny Hasselquist, die Tänzerin, wurde Sumurun, ihre Freundin und Dienerin Egede Nissen, Margarete Kupfer die Alte. Der junge Scheich wurde Carl Clewing, der alte blieb: Paul Wegener (unser genialstes deutsches Filmtemperament, was er wiederum erwies). Den Stoffhändler Dur al Din gab Harry Liedtke, den Obereunuchen Jacob Tiedtke, den Sklavenhändler Paul Biensfeldt, die beiden Diener Dur al Dins Paul Graetz und Max Kronert.
Und den Buckligen Ernst Lubitsch, – und das war das Ereignis des Abends. Die Negri ist glänzend, ist routiniert, ist bekannt als schauspielerisches Temperament, ist blendende Erscheinung, ist Rasse, Feuer, Klasse, Glut und Glanz – – das alles war sie auch gestern, auch gestern. Sie ist gewohnt, Bestes zu geben, denn sie gehört zu unsern Allerbesten. Sie hat erfüllt, was man erwartete. Glänzend erfüllt. Es durfte nicht anders sein und konnte gar nicht anders sein. Sie hat eine entfernte Ähnlichkeit, auch in kleinen Zügen des Spiels, mit der Nielsen; sie ist wie diese internationale Klasse.
Paul Wegener, der in dem "Studenten von Prag" den ersten Schritt zur Höhe der deutschen Filmkunst tat – ein genialisches Temperament ein temperamentvolles Genie, ein intuitiver Begreifer, eine Kraftnatur, ein körperlicher Recke, ein geistiger Riese. (...)
Jenny Hasselquist, eine zarte, zierliche, liebliche Erscheinung, die Verkörperung der reinen Liebe gegenüber der käuflichen Sinnlichkeit der Tänzerin, fein, schlicht, anmutig, unaufdringlich.
Egede Nissen, eine blonde Anmut, voll Charme und Drolerie, voll Schalkhaftigkeit, Gutherzigkeit, Humor und Keckheit.
Margarete Kupfer eine Alte von charakteristischer Verkommenheit, ein Lumpenweib, eine Megäre, ein Scheusal, etwas von einer Hündin, eine Leistung von großer Selbstaufopferung und völlig gemeistert.
Carl Clewing, ein junger Scheich von weichlicher Sentimentalität, etwas für Backfischherzchen, Sporrenklirrende, schwertgewappnete Unmännlichkeit, – wie es die Rolle erheischt; vielleicht aber doch eine Nuance zu stark.
Harry Liedtke, von sympathischer, kraftvoller Stattlichkeit und sehr hübschem Aussehen, auch etwas für Backfischherzen, aber fester härter, gefügter, gegossener bei aller verliebten Weichheit und verträumten Verliebtheit.
Jacob Tiedtke, ein prachtvoller Humorist, ein gutes, etwas verfettetes Herz, mit weichen Händen und weichen Augen, mit schlaffem Munde und schlaffen Armen. In vielen kleinen Zügen groß und im ganzen natürlich durchaus gut, eine angenehm groteske Erscheinung. (...)
Und nun Ernst Lubitsch selber: er hat eine Vorliebe für das Groteske, für eine gewissen Selbstverspottung. Er hat gar keine Hochachtung, nicht einmal vor sich selber. Er neckt sich sehr gerne, mit andern und mit sich selber. Ich bin überzeugt, er kann persönlich ein reizender Gesellschafter und ekelhafter Patron sein, wie er sich und sein Verhältnis zu dem Besucher gerade einschätzt. Bitte, das sind nur Vermutungen; seine persönliche Bekanntschaft soll sich erst ereignen. In der Arbeit versteht er jedenfalls keinen Spaß. Auch bei sich selber nicht. Und wenn er auch einen Spaßmacher mimt. Sein Buckliger hat tiefe, echt Herzenstöne – Bajazzo, der da weinen möchte und lachen muß, Bajazzo, der da liebt und verachtet wird, Bajazzo, der da ein abschreckender Krüppel ist und jedem Geraden das Glück der heilen Glieder neidet. Aus einem reichen Verstande, einem starken Temperament und vor allem aus einem unerschöpflichen Born nicht nur guten, sondern wegweisenden Geschmacks formt Lubitsch, was er darstellt. Ernst Lubitsch – der Max Reinhardt des Films! Mehr kann ich nicht sagen. Wer sein Edmund ist, möge jeder selber erraten!