Das Luftschiff

DDR 1982/1983 Spielfilm

Das Luftschiff


Fred Gehler, Sonntag, Berlin/DDR, Nr. 15, 1983


Halten wir fest: ein Debüt! Fritz Rudolf Fries avancierte zum Filmautor. 1974 hatte sein imaginäres Ich auf den ersten Seiten des "Luftschiff" angemerkt: "…das wird eine Biografie. Die meines Großvaters, der ein Erfinder von Flugapparaten war in seiner Zeit." Was auch immer "Das Luftschiff" genremäßig darstellen mag, die "Biografie, die Erfindungen, die Zeit" sind verwoben zu einem Buch der Geschichten und der Geschichte. Ein Buch zudem außerordentlicher Leichtigkeit und Fabulierkunst und dabei nicht angestrengter Nachdenklichkeit. Es geht in ihm immerhin um keine geringeren Widersprüche als die von Geist und Macht, es geht um die Übergänge des Traums in das Leben und umgekehrt. Da will ein Mann namens Franz Xaver Stannebein die Grenzen des Irdischen überwinden und stößt doch mit den Realien historischer Prozesse zusammen. Da meint er, die Menschheit zu neuen Horizonten führen zu können und ist ziemlich blind für die Fäden, an denen seine Erfinderexistenz selbst zappelt. Aus Träumen, großen und kleinen, werden Alpträume.

Das Buch, ein etwas exotischer Vogel in unserer Literaturlandschaft, birgt in sich schon starke Verlockungen für eine filmische Adaption. Es ist eine außergewöhnliche Lebensgeschichte, die da erzählt wird, und sie läßt Zeitgeschichte gleich in mehreren Dezennien durchschimmern. Auch hat die assoziative Schreibtechnik von Fries eine starke Affinität zum Kino, sie fordert eine intensive Bilderwelt förmlich heraus. Die Fabel hat keine lineare Einschichtigkeit. Die mehrfach gebrochene Komposition stimuliert Reflexionen und Phantasie. Als es mit dem Filmemachen ernst wurde, hat Fries seinerseits noch einmal eine neue Zeitebene eingebracht. Die Auf- und Abschwünge des Franz Xaver Stannebein, seine illustren Lebensstationen, sind hier geklammert durch eine Suche am Ende des zweiten Weltkrieges. Chico, der Enkel, und mit ihm andere Familienmitglieder, streben auf unterschiedlichen Wegen zur letzten Stätte Stannebeins.


Wobei es nicht so sehr um eine Recherche nach dem Leibe Stannebeins geht, sondern um die Entdeckung seiner Seele und seines Geistes. Was war er für ein Mensch? Frage und Suche wurden Erzählstruktur. "Um dahinterzukommen", so Regisseur Rainer Simon (…), "dazu bedarf es auch des Blickes in sein Innenleben, auf seine Phantasien, Träume, Wünsche, Ängste. Unser Film ist auch ein Spiel mit verschiedenen Ebenen der Realität, nicht nur der äußeren, auch der der Träume."

Ein solcher konzeptioneller Ansatz ist in unserer Kinematografie wahrlich nicht der Kinoalltag. (…) Es geht mir nicht um eine Polemik gegen einzelne Einfälle und stilistische Mittel, aber ein Film – von wem auch immer – und welches Thema auch immer – kann schwerlich im Alleingang einen ganzen Katalog metaphorischer Möglichkeiten aufblättern, nur um auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen. Souveränität zeigt sich in der Beschränkung. Die Fatalität der wilden Wucherungen ist dabei wahrlich kein Fal des Luftschiff-Films und seiner Schöpfer. Man muß ihnen vielmehr dankbar sein, auf grundsätzliche filmästhetische Dissonanzen unserer Filmproduktion gewiesen zu haben. Zu häufige und verbreitete stilistische Hausmannskost läßt früher oder später auch mal Filme entstehen, bei denen die Metaphorik für die halbe Babelsberger Ernte reicht. "Das Luftschiff" macht Exkursionen in surrealistische Bereiche, fliegt am absurden Thealer vorbei, läßt sich auf durchaus faszinierende Weise mit der Non-Camera-Animation des Leipziger Grafikers und Filmemachers Lutz Dammbeck ein und sendet überreichlich visuelle Zeichen (von populären erotischen Symbolen bis zu subtil verschlüsselten Allegorien). (…)

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