Die gläserne Zelle

BR Deutschland 1977/1978 Spielfilm

Die gläserne Zelle


HGP, film-dienst, Nr. 8, 11.04.1978

Der Architekt Phillip Braun ist zu fünf Jahren Haft verurteilt worden; in einer Schule, die er gebaut hatte, ist wegen fehlerhaften Materials das Treppenhaus eingestürzt, ein Kind kam ums Leben. Der eigentlich Schuldige, der skrupellose Bauunternehmer Lasky, geht straffrei aus – ihm ist nichts nachzuweisen. Der Film erzählt diese Vorgeschichte in einer Rückblende, die eigentliche Erzählung beginnt mit der Entlassung Phillips aus der Haftanstalt, mit seinen Versuchen, in eine Welt zurückzukehren, in die er auf Grund seiner Erfahrungen kein Vertrauen mehr setzt. Bald entdeckt er, daß seine Frau ein Verhältnis mit seinem Anwalt hatte, der sich erfolglos um ein Revisionsverfahren bemüht hatte. Jetzt freilich, so erklärt sie, sei da nichts weiter als eine echte und für sie lebenswichtige Freundschaft. Der Ehemann, zerstört von den Jahren im Gefängnis, fühlt sich verdrängt und verstrickt sich immer mehr in Angst, Eifersucht und Einsamkeit; als er endlich wieder Arbeit findet, hat er das seinem Rivalen zu verdanken, zu dem sich auch sein Sohn stark hingezogen fühlt. Immer wieder entdeckt Phillip Kontakte seiner Frau zu jenem Anwalt und wird dadurch ein bequemes Opfer für den eigentlich Schuldigen, den Bauunternehmer, dessen kriminellen Machenschaften der Anwalt immer noch auf der Spur ist. Lasky spinnt eine tückische Intrige, um den Gegner auszuschalten; weder Phillip noch seine Frau durchschauen diesen Zusammenhang.

Als Vorlage diente den Drehbuchautoren der gleichnamige Roman von Patricia Highsmith, deren Werke auch Hitchcock ("Der Fremde im Zug", fd 14 936), Clement ("Nur die Sonne war Zeuge", fd 9531) und Wim Wenders ("Der amerikanische Freund", fd 20 376) schon verfilmt hatten. Geissendörfer ist mit der Vorlage sehr frei umgegangen; überzeugend wirkt nun vor allem die Verlegung der Geschichte nach Frankfurt. Ganz unauffällig werden Probleme dieser Stadt (und nicht nur dieser) berührt: Spekulantentum, kriminelle Geschäftsleute, eine ohnmächtige Polizei und Rechtsprechung, und vor allem die Vereinsamung von Menschen. Dies freilich wird mehr in der Atmosphäre des Films spürbar als in der Story erzählt, die sich ganz auf die Gefühlswelt der Hauptfigur konzentriert. Der Zuschauer erlebt die Geschichte aus der Perspektive des Opfers Phillip Braun, die anderen Figuren treten in den Hintergrund. Die schweren Farben, die Enge der Bilder, die vielen Nachtszenen lassen spüren, daß Phillip zwar aus dem Gefängnis entlassen wurde, aber eingesperrt bleibt in eine Welt aus Angst, Mißtrauen und Eifersucht. Eine psychische Situation, die auch mit dem Selbstmord enden könnte – doch Phillip begeht, "begünstigt" durch einen Zufall, der seine Gründe hat, einen Mord, und um nicht wieder eingesperrt zu werden, ist er auch zu einem zweiten Mord an seinem Erpresser bereit.

Es geht dabei nicht um die moralische Rechtfertigung von Verbrechen. Aber Geissendörfer zeigt in seinem Film, was einen Menschen dazu bringen kann, einen anderen zu töten, und wie sich ein innerer Druck allmählich entwickelt, der mit der Anwendung physischer Gewalt endet. Klar wird dabei, und hierin ist die aktuelle Bedeutung des Films zu sehen, daß vor der Frage nach der moralischen Schuld des einzelnen die Frage nach den sozialen und psychologischen Ursachen gestellt werden muß; zumindest der zweite Mord in dieser Geschichte ist erschreckend plausibel und nachvollziehbar als Lösung eines Konflikts, die ein einzelner wählt, dessen Bindungen zur Umwelt heillos gestört sind. Geissendörfer hat sich gerade auf diesen Aspekt seiner Geschichte sehr intensiv eingelassen; ohne Effekthascherei, eindringlich und genau ist dieses psychologische Kriminal-Kammerspiel inszeniert. Dabei kommt dem Regisseur auch das Verdienst zu, seine Rollen hervorragend besetzt zu haben: selbst die Untugenden seiner Schauspieler (vor allem bei Dieter Laser als Anwalt wird das deutlich) werden zur Tugend, weil sie mit den Figuren des Films lückenlos übereinstimmen.

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