Der Aufstand

BR Deutschland 1979/1980 Spielfilm

Der Aufstand

La Insurreccion



Wilhelm Bettecken, film-dienst, Nr. 20, 30.09.1980

Es beginnt pathetisch: "Wir widmen diesen Film dem freien Volk von Nicaragua und danken den Bewohnern von Leon und den Soldaten der Sandinistischen Befreiungsfront für ihre Mitarbeit." Wer die jüngste Geschichte Nicaraguas verfolgt hat, weiß, daß es mit dem "freien Volk" noch nicht so weit her ist. Aber das ist für die Beurteilung des Films zweitrangig. Peter Lilienthal, der 1939 als Zehnjähriger Deutschland verließ, hat lange in Lateinamerika gelebt. Bereits mit "La Victoria" (fd 18 483), der Geschichte einer Chilenin, die sich für die Volksfront Allendes engagiert, zeigt Lilienthal die innere Verbundenheit mit den Menschen in dem Subkontinent, der ihm einmal Heimat und Geborgenheit bot. Mit "Es herrscht Ruhe im Land" (1975; fd 19 661) und "Aus der Ferne sehe ich dieses Land" (1978, fd 20 837) erweist er sich endgültig als Spezialist für lateinamerikanische Probleme. Seine Filme bestechen durch die sichere Milieuschilderung. Mit "Der Aufstand" wollte er den aufständischen Sandinistas ein Denkmal setzen. Dabei konnte er noch nicht voraussehen, daß diese Freiheitskämpfer die Freiheit so rasch nicht zu garantieren vermochten.

In der Art eines Dokumentarspiels rekonstruiert Lilienthal mit seinem bewährten Mitautor Antonio Scarmeta die Geschichte des Aufstandes gegen den Diktator Somoza und dessen Familie. Er individualisiert die Probleme, indem er das Schicksal einer Familie verfolgt. Vater Antonio Menor, engagierter Somoza-Gegner, überredet seinen Sohn Agustino, der in der Somoza-Armee dient, zu desertieren. Der Sohn, der sich zunächst nicht zu entscheiden weiß, folgt dem Drängen seines Vaters, kehrt aber resigniert in die Obhut der Armee zurück, als sein Capitano mit äußerster Entschlossenheit droht, den Vater und Nachbarn zu erschießen, wenn der Deserteur sich nicht freiwillig stellt. Als der Soldat wider Willen aber später Zeuge brutaler Unmenschlichkeiten gegen Aufständische wird, schließt er sich endgültig den Freiheitskämpfern an. Doch die Freiheit erlebt er nicht mehr: Er fällt unmittelbar vor Ende des Kampfes und sein Vater kann über den Sieg nicht mehr froh werden.

Die ersten Bilder graben sich ins Gedächtnis ein: Der Vater sieht in der Stadt seinen Sohn, der Urlaub bekommen hat, und versucht ihm auszuweichen, teils aus Unwillen über "das Dreckzeug" (die Uniform), teils aus Furcht, ein Zusammentreffen von Vater und Sohn könnte so oder so falsch gedeutet werden. Wie die Kamera die beiden durch Straßen und Gassen von Leon, einer Universitätsstadt rund 90 km nordwestlich der Hauptstadt Managua, verfolgt, ist erregend. Überhaupt ist der Film am Anfang sehr dicht. Die Auseinandersetzung zwischen den Aufständischen und den Dienern des Staates vollzieht sich im Verhältnis Vater und Sohn. Selbst der Padre, den die Sandinistas den "Teufelspfarrer" nennen, weiß keinen Rat, wie sich Agustino verhalten soll. Dabei hat er sich für seine Person klar für die Sandinistas und gegen den Diktator Somoza entschieden. Weil für den Film Darsteller vom Ort verpflichtet wurden, werden die Verständigungsschwierigkeiten durch Untertitel ausgeräumt. An einigen Stellen aber, wenn die Spannung steigt, "vergißt" der Film die Untertitel, ohne daß der Betrachter das wahrnimmt. Die Bilder sind in ihrer Dynamik so einprägsam, daß die Untertitel überflüssig werden. Wenn dann aber der Aufstand losbricht und die männliche Bevölkerung mit Phantasie und Geschick die Armee das Fürchten lehrt, vergißt die Regie ihre Feinfühligkeit für innere Stimmigkeit und Zusammenhänge. Die Kammerspieltöne weichen einem lärmenden Schlachtgetümmel, das erst abklingt, wenn der tote Agustino die Actionsequenzen beendet und ein wenig Stille und Nachdenklichkeit einziehen läßt.

Ein Kriegsfilm? Oder ein Antikriegsfilm? Von der Intention ist das leicht zu beantworten. Aber aus dem Film heraus? Es kann gar nicht bezweifelt werden, daß Lilienthal bei den Kampfszenen der Faszination des Militärapparates erlegen ist. Aber rechtfertigt das Bemühen um den Frieden die breite Darstellung des Krieges? Diese Frage muß gestellt werden. Jedenfalls verliert der Film in diesem breiten Teil alle Innerlichkeit, intellektuelle Auseinandersetzung und geistige Gegenüberstellung. Der Krieg wird nicht gegen die Schwächeren geführt, das ist richtig. Aber bleibt Krieg nicht gleich Krieg? Und auch die Gegensätze in den Charakteren der Darsteller verschwimmen. Es gibt nur noch krasse Schwarz-Weiß-Malerei, es gibt nur noch Gute und Böse: Die Ausgangssituation (Beteiligte spielen ihre eigenen Erlebnisse nach) enthielt diese Gefahr bereits im Keim. Das lag einfach nahe, denn die Beteiligten waren doch alle Partei. Allein der Tod Agustinos läßt am Ende nach so viel packendem Kriegsspiel die Frage nach dem Sinn des Ganzen neu stellen. Trotz der Schwächen aber ist das Mühen um die Rekonstruktion der Wirklichkeit bemerkenswert. Da der dokumentarhaft gestaltete Film auch noch spannend ist, wird er genug Freunde finden, die sich für ein anschließendes Gespräch über die Situation in vielen Ländern Lateinamerikas inspirieren lassen.

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