Tartüff

Deutschland 1925 Spielfilm

Tartüff



Willy Haas, Film-Kurier, Nr. 22, 26.1.1926


(...) Carl Mayer, der Manuskriptdichter, ist ein zuverlässiger Leser und Löser des mimisch bewegten Bildes. Deshalb mußte ihn Molière sofort frappieren und fesseln.

Herrlich ist die Ruhe und Ausgewogenheit seines pantomimischen Procedé. Das rieselt und fließt kristallen wie ein Bach. Er braucht fast gar nicht das, was man im allgemeinen "dramatische Spannung" nennt (ob allerdings das große Publikum darauf verzichten wird, ist eine andere Frage), weil eine solche noble Souveränität des Schrittes schon in sich eine Spannung hat, das Gespannte der Beherrschtheit, das sich dem besseren Zuschauer von selbst mitteilt. Es ist sozusagen die aristokratische Abart des Begriffes "Spannung". Wie unerhört schwer das ist, ein Szenarium von solcher schlackenlosen, perlenden Durchsichtigkeit zu schreiben, weiß wohl nur der ganz zu schätzen, der selbst hie und da Szenarium schreibt. Es ist so schwer, daß es sogar kinderleicht aussieht.

Es ist so, daß es nicht anders gemacht werden konnte. (...)

Molière, der nie eine Regiebemerkung gemacht hat, ist der schärfste Regisseur seiner Komödien, den es überhaupt gibt. Seine Wege sind ganz eng und ganz scharf abgegrenzt. Er verlangt den Schauspieler, der spielen kann, dessen Um-und-auf, dessen ganzes Leben die Schauspielerei ist; nicht den, der denken, interpretieren, interessante erklügelte Nuancen ankleben kann.

Deshalb ist Jannings ein so ausgezeichneter, ja unübertrefflicher Tartüff.

Sein Tartüff ist ein saftiger, muskulöser, dreckiger Plebejer. Fast ein Dorftrottel, der es einfach faustdick hinter den Ohren hat. Das zeugt von Schauspielinstinkt. Das Primitive der Molièreschen Charakterführung, das nicht berührt werden durfte, können wir Heutigen uns wirklich nur in der allerprimitivsten Menschenmaske, fast Untermenschenmaske denken. (...)

Jannings Instinkt macht sich das Komplizierte des ganzen schauspielerischen Molièreproblems nicht um einen Grad leichter als es ist: er entwickelt tatsächlich die ganz unermeßliche mimische Vielfalt einer Molièreschen Figur innerhalb der engsten Grenzen dieser charakterologischen Primitivität. Er wirkt wie das steinerne Monument einer sturen Angefressenheit; aber gleichzeitig hat er die ganze harlekinhafte mimische Gelenkigkeit des Erzkomödianten Molière. Man begreift, daß sein Einbruch in ein Haus dem Einbruch einer elementaren Macht gleichen kann. Man begreift das Unbegreifliche, weil es eben vollkommen unbegreiflich ist. Er wirkt wie ein einziger, gesunder, unanständiger Rülpser, wobei man einfügen muß, daß die Rülpser aus den tiefsten Tiefen der Natur kommen, dort auch die Erde manchmal rülpst, und daß ein solcher Rülpser dann ein städteverheerendes Erdbeben ist.



Molière ist nicht zu modernisieren; er ist nur in einem ganz besonders feinen Sinn zu monumentalisieren. Nämlich so, daß die barocke Pracht seiner Linienführung herauskommt. Die Comédie francaise macht ein großes historisches Gemälde aus seiner Komödie; der kühlere F.W. Murnau, ein wundervoll nobles Figuralmonument mit großen barock gesehenen Gesten, das förmlich leuchtet von der zarten schimmernden Wärme eines alten Marmors.

Er geht von einer ganz aristokratischen Zurückhaltung aus. Seine herrliche Elmire – Lil Dagover – ist klug und still und schön wie eine griechische Göttin; Orgon – Werner Krauß – ist einfach und unberührbar als Einer, der sich nun ganz zu sich selbst, zu seiner Seligkeit gefunden zu haben glaubt. Das Ganze sieht merkwürdigerweise von vornherein viel tragischer aus als bei Molière – das ist die größte Dezidiertheit des stummen Filmes – und so muß er auch tragischer werden als bei Moliere. Aber dieses Tragische kann sich nicht entladen, es muß wie eine Bürde getragen und wie eine Bürde mit großer und einfacher Ruhe niedergelegt werden. Es muß die Geste erfüllen; nicht aus der Geste herausspitzen. Das ist ganz prachtvoll erreicht. Das Tragische löst sich feierlich und rein in großes Spiel auf, so vollkommen auf, daß der Schluß so komödiantenhaft-molièrisch mit Ohrfeigen enden kann wie bei Molière – ohne das Gefüge der Linienführung zu zerbrechen. Das alles ist herrlich und allerersten Ranges. Molière, der mittlere bürgerliche Schicksale in bürgerlicher Atmosphäre aus bürgerlicher Perspektive gezeichnet hat – wenngleich seine Helden oft Adlige sind – hat für uns etwas Feierliches bekommen. Und "feierlich", auf eine unnachahmliche edle Art feierlich, hat auch Murnau diesen Film gestaltet; wozu übrigens die weiche, hauchzarte, meisterliche Photographie Karl Freunds ihr gutes Teil beigetragen hat. (...)

Die feierliche Einweihung des neuen Gloria-Palastes wurde eingeleitet durch einen sogenannten "launigen" Festspruch von Eulenberg, Marke Gelegenheitsdichter Goethe D.R.P., und durch ein feines, buntes, graziöses Ballet von Jaap Kool nach dem Pantomimenlibretto "Die Flöhe" von Wedekind, inszeniert von S. Vermel, in dem Lil Dagover und eine süße Tanzgruppe von Kindern das Publikum entzückte. Das Beiprogramm zeigte den Kulturfilm: "Zeitlupenrevue aus der gefiederten Welt".

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