Der Krieger und die Kaiserin

Deutschland 1999/2000 Spielfilm

Der Krieger und die Kaiserin

Tom Tykwers Liebesgeschichte changiert zwischen Märchen und Psychodrama



Rainer Gansera, epd Film, Nr. 10, 01.10.2000


Tom Tykwers Heldinnen und Helden erleiden traumatische Schocks, werden in Unfälle verwickelt, vom Schicksal niedergestreckt, leiden an Amnesie, verlaufen sich in hermetischen Irrgärten, traumwandeln. Sie haben etwas von untoten Toten, die zum Leben erweckt werden müssen: durch die Liebe natürlich. Alle Tykwer-Filme sind Liebesfilme. "Ist es Zufall oder Bestimmung, dass wir uns begegnet sind?" fragen seine Liebessehnsüchtigen oder die Nicht-mehr-an-die-Liebe-glauben-Könnenden. Hat das Schicksal eine chaostheoretisch formatierte Logik, die sich für Gefühle nicht interessiert? Ist die Liebe stark genug, um die verschlossenen Charaktere aufzusprengen?

In "Die tödliche Maria" (1993), "Winter-Schläfer" (1997) und seinem großen Publikumshit "Lola rennt" (1998) hat Tykwer mit seiner besonderen Vorliebe für das rätselhaft Atmosphärische und seiner Lust am Vorzeigen filmischer Virtuosität ein eigenwilliges Universum geschaffen, das er nun in "Der Krieger und die Kaiserin" weiter ausspinnt.

Lola rennt war extrovertiert, springlebendig, schon kameratechnisch ein Feuerwerk. Der neue Film ist nach Innen gekehrt und folgt einem langsameren, melodramatischen Rhythmus. Wenn Tykwer hier die Kamera in einem Briefkasten verschwinden und mit einem Brief durch Sortier- und Frankiermaschinen flitzen lässt, oder wenn er sie zu einem Salto animiert: als Bodo, der "Krieger" (Benno Fürmann), mit ausgebreiteten Armen auf der Autobahnbrücke steht und davonfliegen will – dann sind solche Kamera-Eskapaden diesmal nur kurze Intermezzi. Die Aufmerksamkeit ist auf die Figuren gerichtet.

Simone (Franka Potente), genannt Sissi (weil sie "Sissi-Filme" liebt), ist Mitte zwanzig und arbeitet als Krankenschwester in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt Wuppertals. Die Patienten behandelt sie eher wie Kumpels oder Schützlinge, und die Anstalt ist weniger eine medizinische Klinik als eine Außenseiter-Kommune mit Sissi als Regentin. Bodo, der bei der Bundeswehr war und nun arbeitslos ist, lebt zusammen mit seinem älteren Bruder Walter (Joachim Krol) in einer Art Hexenhäuschen am Rande der Stadt. Bodo hat martialische Züge und ist zugleich völlig verstört. In Andeutungen erfährt man von seinem traumatischen Erlebnis. Bei der Explosion einer Tankstelle kam seine frühere Freundin ums Leben.

In "Lola rennt" kam die Bedrohung der Figuren von außen, in "Der Krieger und die Kaiserin" geht es um die innere Bedrohung durch Ängste und unverarbeitete Schicksalsschläge. Die Spannung des Psychothrillers liegt über dem Ganzen, auch wenn ein Bankraub stattfindet oder die Liebesgeschichte spektakulär mit einem Unfall beginnt. Sissi wird von einem Tanklaster überfahren und Bodo rettet ihr mit einem Luftröhrenschnitt das Leben. Nach ihrer Genesung sucht sie nach dem Mann, dem sie ihre Rettung verdankt, und den sie für ihre große Liebe hält. Bodo aber ist der abweisende, grimmige Held, der die Liebe ad acta gelegt hat.

Der Film ist - typisch für Tykwer – einerseits Kino-Märchen, andererseits Psychodrama, aber beide Seiten passen diesmal nicht recht zusammen, und die Hauptfiguren bleiben merkwürdig blass. In einem Interview sagte Franka Potente: "Das war die schwierigste Rolle, die ich je gespielt habe – weil sie am weitesten von mir entfernt war." Ihr Regisseur und Lebensgefährte Tom Tykwer aber erklärte bei den Dreharbeiten: "Die Rolle der Sissi war Franka von Anfang an auf den Leib geschrieben." Der Dissens, der aus den Statements herauszulesen ist, mag ein Hinweis darauf sein, warum die Konturen der Figuren so verschwommen sind. Tykwer will eine Liebesgeschichte erzählen, bei der die erotische Attraktion unwichtig ist und "Lebensrettung" zur zentralen Metapher wird. Ein keusches Konzept, bei dem die mythischen, physischen und psychischen Konturen der Figuren keine zwingende Evidenz gewinnen können. Dennoch hat der Film genügend Erzähl-Zauber und Darsteller-Magie, dass man sich gern von ihm an die Hand nehmen und durch das rätselhafteste Wuppertal, das je auf der Leinwand zu sehen war, geleiten lässt.

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