Lieber Fidel. Maritas Geschichte
Lieber Fidel
Josef Lederle, film-dienst, Nr. 23, 07.11.2000
Die Wahrheit von bewegten Bildern ist selten einfach, auch nicht im dokumentarischen Genre. Wenn man wie in Wilfrieds Huismanns Porträt „Lieber Fidel - Maritas Geschichte“ von einer Frau erzählen möchte, deren abenteuerliches Leben mehr an James Bond als an die Wirklichkeit denken lässt, tragen die Bilder eine zusätzliche Bürde: Sie müssen gegen die Klischees des Kinos ankämpfen. Wohl auch deshalb beginnt der Film mit dem titelgebenden Brief an Fidel Castro und dem Bekenntnis, dass der graubärtige Revolutionsführer noch immer die große Liebe von Marita Lorenz sei. 1959 hatte sie ihn an Bord des deutschen Urlaubskreuzers „Berlin“ kennen gelernt und war ihm nach Havanna gefolgt, wo sie bald schwanger wurde. Das Kind kam allerdings nicht zur Welt, weil im sechsten Monat eine Abtreibung erzwungen wurde. In deren Gefolge geriet die damals 20-Jährige in Kontakt mit der CIA, für die sie Castro ermorden sollte. Doch im entscheidenden Moment wirft Marita Lorenz die Giftkapseln ins Bidet. In der Folgezeit erhält sie in Florida eine Ausbildung als Agentin und beteiligt sich an Anti-Castro-Aktionen. Ebenfalls im Auftrag der CIA beginnt sie ein Verhältnis mit dem venezolanischen Ex-Diktator Jiménez, der Spionageaktionen gegen Kuba finanziert. Aus der Affäre geht ihre Tochter Mónica hervor. 1969 heiratet sie einen FBI-Agenten, mit dem sie einen Sohn hat. In New York spionieren sie gemeinsam unter dem Deckmantel einer Hausmeistertätigkeit ausländische Diplomaten aus. Als sie 1976 vor dem Untersuchungsausschuss zur Kennedy-Ermordung zugibt, wenige Tage vor dem Attentat mit einer CIA-Truppe, der auch Lee Harvey Oswald angehörte, nach Dallas gefahren zu sein, ist es mit der Geheimdienstkarriere vorbei. Sie verliert ihren Job und entgeht selbst nur mit knapper Not mehreren Anschlägen. In den 80er-Jahren betreut sie kubanische Flüchtlinge in US-Auffanglagern.
Heute lebt Marita Lorenz in einem verarmten Stadtteil New Yorks von der Sozialhilfe. Aus der einstigen Schönheit ist eine gebrechliche Frau geworden, die aus einer großen Seemannskiste Fotos und Erinnerungsstücke kramt und mit dürren Worten kommentiert. An ihrem Leitfaden entrollt Huismann in einer chronologischen Rückblende ein Schicksal, dessen Wurzeln bis in die Nazi-Zeit zurückreichen: 1944 landete sie mit ihrer amerikanischen Mutter im KZ Bergen-Belsen; als Siebenjährige wurde sie von einem US-Soldaten vergewaltigt. In diesen Erfahrungen dürfte wohl der tiefste Grund für die irritierende Mischung aus Distanz und Sentimentalität liegen, mit der Lorenz über ihr Leben spricht. Die (großen) Lücken dessen, was sie dabei nicht erzählt oder reflektiert, füllt Huismann allerdings weder mit eigenen Beobachtungen noch bringt er das spärliche Material zum Reden. Als routinierter Fernsehreporter sammelt er stattdessen zahllose Statements von Weggefährten und Zeitgenossen, die die Ära des Kalten Krieges Revue passieren lassen, aber nur wenig zur Erhellung von Marita Lorenz’ Persönlichkeit beitragen. Das Gemenge aus Kolportage, historischen Aufnahmen und einer Protagonistin, mit der man nur schwer vertraut wird, weckt gelegentlich sogar den Verdacht, einem Fake aufzusitzen, zumal der Film beim Versuch, den Stoff fürs Kino aufzubereiten, alles andere als zurückhaltend ist. Eingangs intoniert die Gruppe „Septeto Okay Cuba“ vor der malerisch zerfallenden Kulisse Havannas eine traurig-schöne Weise, die sich fast wie eine Moritat ausnimmt; manche der inzwischen im Dokumentarfilm-Genre üblich gewordenen szenischen Dramatisierungen streifen das Opernhafte, auch die neuerliche Reise, zu der Huismann die Rentnerin nach Kuba schickt, damit sie Castro treffe, ist mehr der Inszenierung als dem Wohl von Marita Lorenz geschuldet. Es bedarf externer Informationen - etwa aus dem Presseheft - , um die unzähligen Puzzleteile des Films zu gewichten und miteinander so in Verbindung zu setzen, damit daraus mehr als die schillernde Vita eines in die Jahre gekommenen „Bond-Girls“ wird. Auf einen Widerspruch wie den, dass Marita Lorenz Flugblätter mit der Aufschrift „Nieder mit Castro“ aus dem Flugzeug über Havanna abwarf und auf einen „Ich liebe Dich, Fidel“ gekritzelt hatte, weiß sich Huismanns Film keinen Reim zu machen. Nicht nur darin bleibt er an einer Oberfläche haften, die keine Tiefenschärfe kennt und weder Marita Lorenz’ Biografie noch die Kenntnis der historischen Epoche erweitern kann. Wenn der Verleih den Film als „dokumentarischen Liebesthriller“ bewirbt, offenbart er dessen immanenten Widerspruch: am dokumentarischen Anspruch auf Wahrhaftigkeit gescheitert zu sein.