Raskolnikow
Raskolnikow
Film-Kurier, Nr. 243, 29.10.1923
(...) Die besondere Aufgabe eines "Raskolnikow"-Filmes wäre es gewesen, die ungeheure seelische Intensität, mit der diese Menschen leben, nach außen zu projizieren, die auf- und abschnellende Kurve ihrer psychischen Delirien filmisch festzuhalten.
Dann hätte man dem Dichter gegeben, was des Dichters und zugleich dem Film, was des Filmes ist.
Oder man hätte eine Art Filmballade schaffen können von spukhafter Dämonie, was vielleicht der Eigenart Robert Wienes ganz besonders entsprochen hätte. In diesem Falle wäre vielleicht mehr ein Edgar Allan Poe daraus geworden als Dostojewski, aber es wäre wahrscheinlich ein hinreißender Film entstanden, der aus sich selber heraus gelebt hätte.
Hier aber hielt man sich getreu an den Aufbau des Romans, gab sozusagen einen Kommentar in Bildern zu Dostojewskis Text. Was gerade in diesem Falle ein gefährliches Unternehmen war. Denn der große Visionär Dostojewski ist kein Meister der Komposition, darum durfte man gerade in der Komposition des Films nicht seine Wege wandeln.
Nicht unbedenklich, um alle Einwände vorwegzunehmen, erscheint der Gedanke, dem Film einen expressionistisch äußeren Rahmen à la "Caligari" zu geben und das Spiel auf schlichten Realismus zu stellen.
Was in "Caligari" durch den Stil des Werkes geboten war, führt hier zu einer Diskrepanz zwischen den Menschen des Films und ihrer Umwelt.
Es wäre wie gesagt denkbar gewesen, den ganzen Film auf Irrealität zu stellen, die Handlung gewissermaßen zur Verbildlichung der Hirnvisionen der Hauptfigur zu machen. Wie man sich entscheiden mochte, man hätte den einmal beschrittenen Weg konsequent zu Ende gehen müssen: entweder Phantastik auf der ganzen Linie oder realistisches Milieu und realistische Darstellung, niemals durfte man eine Synthese zweier Stilarten geben, von denen eine die andere ausschließt.
Und trotz alledem: Von diesem Film geht eine bannende Kraft aus, denn die Beseeltheit dieser Darsteller schafft die Atmosphäre, die besondere Dostojewski-Welt, der jeder für immer verfallen ist, der einmal ihren Hauch verspürt. (...)