Die Architekten
Leidenschaft und Überlebenskämpfe
Eine Frau verläßt ihren Mann. Sie geht in die Schweiz. Der Mann umarmt die kleine Tochter im letzten Augenblick der Trennung vor dem Ausreiseschild am Bahnhof Friedrichstraße. Diese Szene wird heute gedreht. Der Regisseur wird sich beim Drehen beeilen müssen, denn hinter den Absperrungen der DEFA stauen sich von S-Bahn zu S-Bahn unwillig die Westreisenden. Ein grauer Tag ohne Licht. Feiner Regen beginnt erst unmerklich und hört dann wie ein Wasserfall nicht mehr auf. Alle sind am Ende durchgeweicht, stehen frierend mit nassen Füßen in Pfützen, dem Kameramann tropfen die Haare. Unter einem Schirm werden die beiden Schauspieler und das kleine Mädchen so halbwegs trocken gehalten. Doch über der Arbeit liegt Ruhe. Sie kommt aus der Überzeugung, dieses Projekt so durchgesetzt zu haben, wie sie es wollten – der Autor Thomas Knauf, der Regisseur Peter Kahane, der Kameramann Andreas Köfer. Um dieses Buch haben sie lange gekämpft. Die Geschichte über die eigene Generation, über die Erfahrungen der Gleichaltrigen und Gleichgesinnten.
Wanda und Daniel, das Paar, das in diesem Land nicht zusammenbleibt, spielen Rita Feldmeier und Kurt Naumann. Ihre erste große Filmrolle nach der Arbeit an ihren Theatern in Potsdam und Karl-Marx-Stadt. Sie haben an diesem Vormittag nicht viele Einstellungen – nur den letzten Blick des Paares, ein knappes Winken, die Frau verschwindet mit der Tochter in der verbotenen Zone – aber sofort überzeugt die Besetzung. Beide besitzen eine anziehende nervöse Spannung. Sie haben im Gesicht die Spuren von erster Zerstörung durch Leidenschaft und Überlebenskämpfe – etwas Zeittypisches und doch das Gegenteil von Durchschnitt oder Mode. Ganz nah hält sich der Regisseur bei seinen Darstellern auf, am längsten und am leisesten bei dem kleinen Mädchen, das in diesem Film einen schwierigen Part hat. (…)
Beinahe letzter Drehtag in Babelsberg, Dienstag, 9. Januar 1990.
Peter Kahane: „ Wir haben versucht, auf die Höhe der Zeit zu kommen, und wir hechelten immer hinterher. Wir haben Demonstrationen und Mahnwachen gedreht, und schon wieder wurde anderes wichtig. Dann faßten wir einen Entschluß: Das wird ein historischer Film, er endet im Frühjahr 1989. Diese Entscheidung wirkte klärend. Da erst konnte ich wirklich über den Schluß des Films nachdenken. Nach vielen Umwegen sind wir wieder zur alten Fassung zurückgekehrt. Der einzige Unterschied findet sich im Akzent, in der Sicht auf den Helden.
Früher sollte durch Bild und Musik klarwerden, daß Daniel trotz seiner Niederlage mit viel größerer Radikalität weiterkämpfen wird. Das war unser Wunsch und auch unsere Art, Tragisches zu erleben und uns trotzdem immer wieder Mut zu machen. Nachdem die Menschen in diesem Land mit eben dieser Radikalität unsere Gesellschaft verändert haben, hat sich eine Hoffnung erfüllt. Es bleibt, über unsere Verluste zu erzählen."