E.K.G. Expositus (Die öffentlichen und die künstlerischen Medien)
E.K.G. Expositus
Helmut Merschmann, epd Film, Nr. 4, April 2004
Was unterscheidet eigentlich "die öffentlichen und die künstlerischen Medien"? Diese Frage wirft der Experimentalfilmer Michael Brynntrup gleich im Untertitel seines neuen Werks E.K.G. Expositus auf. Nach dem großen Kehraus der Fernsehanstalten im Zeichen der Eventkultur sind Sendeplätze für "schwierige" filmische Formen Mangelware. Popularität geht über alles, schwer Vermittelbares hat wenig Chance – es sei denn, es lässt sich zu einer Schlagzeile aufbauschen. Michael Brynntrup hat so seine Erfahrungen gemacht und sie in seinem neuen Film umgesetzt. Wird Brynntrup vom Fernsehen thematisiert, ist lüstern vom "Lover in Badehose" die Rede, oder es heißt angesichts seines "Loverfilms" mal kryptisch "es geht um Datenverarbeitung und Sex", ein anderes Mal großspurig "eine persönliche Geschichte und gleichzeitig die Geschichte der Schwulenbewegung in Deutschland".
"Wenn das Fernsehen mich filmt, dann filme ich das Fernsehen", nahm der Filmemacher sich vor und richtete jedes Mal, sobald sich ein Sender seiner künstlerischen Existenz näherte, seinerseits die Videokamera auf das Fernsehteam. Einen Reporter des WDR etwa plagt die gute Frage: "Wie darstellbar ist die Wirklichkeit?" Einem anderen legt der Filmemacher Leonardo da Vincis Bonmot "Ein Künstler malt immer nur sich selbst" auseinander. Und ein dritter gibt sich um die Persönlichkeitsrechte der männlichen Darsteller im "Loverfilm" besorgt, wo die Liebhaber des rührigen Filmemachers sorgsam aufgelistet werden. Dabei war Brynntrup dem Vorwurf des Exhibitionismus zuvorgekommen, indem er sich im Film direkt an sein Publikum wendet: "Seien Sie sich bewusst, dass Sie die Persönlichkeitsrechte der Dargestellten verletzen." Der dahinter liegende Mechanismus gilt freilich fürs Fernsehen an erster Stelle: Denn nur wo geschaut wird, wird auch gezeigt.
Heuchlerei lautet der medienkritische Vorbehalt, dem Brynntrup in Form einer Rahmenhandlung drastische Gestalt verleiht: Zu Beginn wird im Stil einer Krankenhaus-Soap-Opera ein blutüberströmter Verwundeter ins Hospital eingeliefert und im OP verarztet. Unter den Bandagen ist der Filmemacher zu erkennen, der offenbar im Kampf mit den Medien Blessuren davontrug. Sein Elektrokardiogramm zeigt finale Herzensregungen, in deren Rhythmus sein Werk ein letztes Mal exponiert wird: Neben dem "Loverfilm" tauchen auch das Fotografenporträt "Aide Memoire", die Kopierund Reproduktionsläufe aus "Herzsofortsetzung II" und der Flashfilm "Kein Film" im 101-minütigen Opus Magnum auf.
Der filmische Reigen repräsentiert das Spektrum an persönlichen Interessen und formalen Ausdruckmöglichkeiten des Michael Brynntrup, die allesamt fürs Fernsehen wohl nicht in Frage kämen. Die reflexiven Spielereien des Experimentalfilms erscheinen einfach zu feinsinnig für die ungebrochene Darstellung im Nachbarmedium. So können die Grenzen zwischen ernster und unterhaltender Muse, zwischen Kunstanspruch und Massenappeal als wiederhergestellt gelten, auch wenn es bei Brynntrup stets äußerst unterhaltsam und ironisch zugeht. Bloß eines nimmt er ein wenig zu ernst: die Rolle des Fernsehens als Kunstrichter. Umgekehrt führt "E.K.G. Expositus" auf schlagende Weise vor, wie leicht sich Fernsehware ins eigene künstlerische Schaffen inkorporieren lässt.