Abgeschoben
Heinz Kersten, Frankfurter Rundschau, 28.7.1984
Berlin. Der Eröffnungsbeitrag des 3. Nationalen Spielfilmfestivals der DDR Mitte Mai dieses Jahres – wir berichteten darüber –, "Erscheinen Pflicht" von Helmut Dziuba ("Als Unku Edes Freundin war", "Sabine Kleist, 7 Jahre"), ist erst mit ungewöhnlicher Verspätung gegenüber der Provinz in die Ostberliner Kinos gekommen. Entgegen sonstigen Gepflogenheiten lief der Film auch nicht in einem der beiden repräsentativen Uraufführungskinos in der Karl-Marx-Allee an, sondern im "Colosseum" in der Schönhauser Allee, wo meist DEFA-Filme "versteckt" werden, die aus irgendwelchen Gründen weniger erwünscht sind. Hierfür spricht auch das Fehlen jeglicher Werbung für diese Babelsberger Produktion, die nach zwei Wochen Laufzeit im "Colosseum" allerdings auch noch in anderen Ostberliner Stadtbezirken eingesetzt wurde. Von der Kritik wurde der Film bis auf ganz wenige Ausnahmen bisher ebenfalls totgeschwiegen. Im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" wurden, ihm "Realitätsferne", "künstlerische Metaphern, die einen Generationskonflikt suggerieren wollen", und "resignative Melancholie" vorgeworfen sowie "eine Konfliktgestaltung, die kaum zu konstruktivem gesellschaftlichem Handeln motiviert, sondern Verdrossenheit hinterläßt".
Eine zweite gleichfalls negative Rezension erschien in der Ostberliner "National-Zeitung", dem Organ der NDPD. Der Film "Erscheinen Pflicht" entstand nach Motiven des gleichnamigen Erzählungsbandes von Gerhard Holtz-Baumert, einen DDR-Jugendbuchautor, dessen Arbeiten schon mehrfach verfilmt wurden. Im Mittelpunkt steht die etwa 15jährige Tochter des Ratsvorsitzenden eines Kreises, die nach dem plötzlichen Tod des zu Lebzeiten als Vorbild verehrten Vaters lernt, ihre Umgebung realistischer, auch in ihrer Widersprüchlichkeit zu erkennen.
© Heinz Kersten