Pigs Will Fly

Deutschland 2001/2002 Spielfilm

Wird schon wieder gut

Ein deutscher Schläger auf Urlaub in der amerikanischen Weite: "Pigs will fly" von Eoin Moore ist ein schöner Film über ein hässliches Thema



Katja Nicodemus, Die Zeit, 09.01.2003

Es ist schon ein wenig seltsam, diesem Täter zuzuschauen. Wie er seine Frau aus heiterem Himmel niederschlägt, ihr den Arm auf den Rücken dreht, sie mit dem Kopf voran auf den gläsernen Couchtisch schleudert, beschimpft, bespuckt und zusammentritt. Seltsam, weil dieser Film seine Geschichte aus der Sicht der Hauptfigur, des Schlägers, erzählt: Dirk Lachsendorf, genannt Laxe, Mitte 30, Polizist in den Hochhausschluchten des Märkischen Viertels. Die Gewalt bricht plötzlich, eruptiv aus ihm heraus. Äußere Gründe gibt es keine, nur wahnhaft übersteigerte Anlässe der Eifersucht. Am Anfang von Eoin Moores "Pigs will fly" prügelt er seine Frau zum sechsten Mal krankenhausreif. Vielleicht zeigt sie ihn endlich an, hat das Schweigen ein Ende, vielleicht wird er diesmal vom Dienst suspendiert. Vielleicht. Er werde sich ändern, sagt Laxe.

Die Frau bleibt im Krankenhaus, und der Mann, der ihr das Gesicht so zertrümmert hat, dass sie kaum mehr aus den Augen sehen kann, macht Ferien. "Pigs will fly" gönnt seinem Schläger eine Auszeit, Besuch beim kleinen Bruder in San Francisco. Man ist irritiert, erwartet als Zuschauer zunächst die Opferperspektive und vom Täter das Übliche: Reue, Buße, Strafe oder Besserung. Man windet sich im Kinosessel, weil man einfach keine Lust hat, solch einen Typen auf Reisen zu begleiten, dem Andreas Schmidt die verspannte Selbstsicherheit eines Zwangsneurotikers verleiht.

Doch die große Kinokurve hin zu einer Stadt, die zum Inbegriff hippiesker Selbstfindungen geworden ist, macht Sinn in diesem Schlägerfilm. Das Gegenteil der altbekannten Introspektionen tritt ein, und über die vertrauten Bilder der Straßen von San Francisco legt sich ein unsichtbares Netz. Je weiter der Regisseur seinen erzählerischen Bogen fasst, desto unerbittlicher führt er uns in die Enge einer in ihren Grundfesten verletzten, zerstörerischen Persönlichkeit. Während die Bilder durchatmen, wirken die spärlichen Symptome der schlummernden Gewaltbereitschaft umso bedrohlicher. In San Francisco landet Laxe in der WG seines Bruders, einer Art psyochosexueller Aussteigerbiotop ohne Wurst und Aggressionen. Hier der zappelige Fleischfresser-Polizist aus Deutschland, da die vegetarischen Tai-Chi-Jünger von Height Ashbury, Verdrängung und Selbsterkenntnis – die Gegensätze mögen in Eoin Moores Film manchmal allzu klar sein, dennoch findet das Nebeneinander der Lebensformen eine vorläufige Balance. Schließlich hat uns das Kino eingeimpft, dass alles immer noch ganz anders und meistens zum Besten kommen kann.


Laxe verliebt sich in die orientierungslose Inga, versucht deren Leben zu ordnen. Wenn er anfängt, ihre Arbeit zu regeln, in das Chaos ihres Zimmers ein Regal hineinzuzimmern, möchte man die junge Frau vor dem bedrohlichen Zugriff auf ihr Leben bewahren. Es sind solche eher beiläufigen Situationen, in denen ein bodenloses, unterdrücktes Gewaltpotenzial unter die Oberfläche von Laxes so harmlos scheinenden Zügen schießt. Der Mann ist verloren, doch zunächst scheint dies nur sein Bruder zu wissen, der ihm die Wahrheit in einem so pathetischen wie rührenden Slam-Gedicht vor die Nase knallt. Biografische Fetzen setzen sich zusammen: ein cholerischer Vater, der die Söhne durchprügelte und von seiner Frau verlassen wurde. Drakonische Strafen, Kindheitsängste. Die Vergangenheit dient in "Pigs will fly" keineswegs der Absolution, vielmehr erscheint hier ein Erbe der Gewalt, das man, wie im Fall von Laxes Bruder, aber durchaus auch ausschlagen kann. Man könnte Eoin Moore vorwerfen, dass er Laxes Frau, das eigentliche Opfer dieser Generationenlast, zu einer Nebenfigur macht. Doch in einer kurzen, ungeheuer starken Szene, die Kirsten Block am Ende des Films bleibt, wird klar, dass sich ihre Figur in der Hochhausheimat unendlich mehr verändert hat als Laxe während seines wochenlangen Trips.

Was bleibt, ist zwar kein einziges Fünkchen Hoffnung, aber doch die Erkenntnis, dass man über ein hässliches Thema einen schönen Film drehen kann. Und eine wunderbare Einstellung, in der die Weite und Freiheitsversprechungen der amerikanischen Kino-Ikonografie kurzgeschlossen werden mit dem nüchternen Bild eines deutschen Schlägers: Der Morgen leuchtet silbrig durch den Pazifiknebel über der Golden Gate Bridge. Entlang der wuchtigen roten Stahlbögen trottet mit hängenden Schultern eine schmale Gestalt in eine weitere Geschichte hinein, die garantiert keine andere sein wird.

© Katja Nicodemus

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