Die besten Jahre
Die besten Jahre
Die Geschichte des Mannes Ernst Machner, die Günther Rücker in seinem Spielfilmerstling "Die besten Jahre" erzählt, ist eine Modellfabel unserer sozialen Ordnung, Ausdruck der nach 1945 in unsere Gesellschaft gekommenen "Unruhe", Sinnbild der Veränderung der Menschen und Umstände. (…)
Die unruhige Biografie Ernst Machners gleicht den Wegen vieler Unruhiger in unserem Land. Sie kann auch als Symbol der Entwicklung unseres Staatswesens verstanden werden. "Die besten Jahre" – folglich ein "typischer Film" über die Schwere des Anfangs, darüber, was wir geworden und wie wir es geworden? Ja und nein. Wäre dieser Film nur die Wiederholung einer Wahrheit, lieferte er nur die eingängige Illustration einer richtigen These, man könnte über ihn zur Tagesordnung übergehen. Doch es geht in den "besten Jahren" nicht primär um eine Bestätigung unseres Weges, um eine Bekräftigung der Vitalität unserer Verhältnisse. Wer den Film so begreift, mißt ihn mit zu kleinen Maßen.
"Die besten Jahre" wollen als moralisch-ethischer Disput verstanden werden. Rücker benutzt den Film zur Verständigung über einige das sozialistische Bild vom Menschen bestimmende Kriterien. Er prüft ihre Tragfähigkeit, lotet nach ihren Ursprüngen und Äußerungen, fragt nach ihrer menschlichen Substanz. Für die Aussage des Films ist am wesentlichsten das Kriterium der produktiven Unruhe und Unrast. (…)
Noch einige andere Fragestellungen erregen Interesse. Rücker fragt nach den Ursachen, die revolutionäre Unruhe zu diskreditieren vermochten, nach den vermeidbaren Um- und Irrwegen (besonders stark im Dialog Machner – Schmeller; Schmeller: "Unfähigkeit, die wir bis aufs Messer bekämpfen, macht sich lieb Kind als blinde Treue. Die Heuchelei schickt uns Ergebenheitsadressen, die Beschränkten warten nur darauf, Nüchternheit als Zweitel verketzern zu können, die Beschränkten schieben Vorsicht vor und ertränken Mut in Beschränkungen ..."), er konfrontiert Ungeduld mit der Behutsamkeit in der Sicherung des Erreichten. Daß dies geschieht, ist nicht wenig. Doch das Wie kann noch nicht voll befriedigen. Es bleibt zumeist bei der Rhetorik. Die angedeuteten gedanklichen Konstellationen werden noch nicht für die Filmhandlung selbst produktiv. Ein Vergleich mit dem erkennbaren Vorbild "Neun Tage eines Jahres" macht es deutlich. Die polemischen Dispute der beiden Physiker Gussew und Kulikow werden nicht zuletzt deshalb für den Zuschauer zu Lokomotiven des Gedankens, weil sie Mihail Romm in die Handlung des Films assimiliert. Die Auseinandersetzungen erfahren ihre Kontrolle und Bewertung durch die gesamte Entwicklung der beiden Charaktere.
Bei Rücker ist diese Konsequenz der gedanklichen Führung seiner Charaktere noch nicht vorhanden. Argumentation und Charakterzeichnung differieren zeitweise. So will zum Beispiel die fast ängstliche und vorsichtige Abwehr Machners gegenüber den ungeduldigen Forderungen seines ehemaligen Mitschülers und jetzigen Kybernetikers nicht so recht zu der sonstigen Konzeption seiner Gestalt passen. (…)
Trotz dieser Einwände ist Rückers Film ein Gewinn unserer nationalen Kinematografie. "Die besten Jahre" lassen wie schon letztlich "Lots Weib" einen Wandel unseres Gegenwartsfilms erkennen. Mir scheint dies eine Frage der Grundhaltung zur Aufgabe unserer Filmkunst zu sein. Man will nicht länger mehr mit papiernen oder überholten Konflikten und Lösungen dem Leben hinterherhinken. Man sucht die "moralisch-kritische Reaktion" des Betrachters. Die Probleme und Fragestellungen werden für unsere Wirklichkeit authentischer, sie werden gegenwärtiger.