Alraune
Alraune
E. J., Film-Kurier, Nr. 285, 3.12.1930
Beifall, viel Beifall für die Helm. Einige Heiterkeit für Oswald (die sich bei leichten Kürzungen beheben wird).
Man hat Brigitte Helm, um eine Rolle für den Star zu finden, das Nächstliegende angepaßt: den deutschen Superlativ des Gefährlich-Blonden, die patentierte Kino-Erotik noch einmal als Ewerssche "Alraune" in Bewegung zu setzen. "Tochter des Gehenkten und einer Dirne."
Dieser Ewers wird auch im plastischen, im Weitfilm, im Riech-Film mit "Alraune" der Sinnlichkeitsklassiker bleiben.
Dem großen Brigitten-Kreis legt sich der Star in allen schimmernden Posen der Verführung vor die Kamera, mit Unschuldsmienen der Siebenzehnjährigen dazwischen, zeigt Fleischeslust, soweit das Gesetz es gestattet, macht die größten Undinenaugen, die heute die Leinwand beleben, tanzt und singt, daß nicht nur ihrem Onkel gruselgraust.
Helm als Dirne, als Büßerin schließlich, Dämon im Todesauto, Unschuld am Wiesenrand, in Tag- und Nachtgewändern, mit und ohne Schleppen, angezogen, ausgezogen, mal Garbo, mal Marlene – wenn aber der Photograph Günther Krampf sie richtig faßt, setzt sich das Original durch, heute – mit allen ihren Fehlern die Frau auf der Leinwand, die Publikum anlockt, aufregt, begeistert.
Unbestritten ihr optischer Reiz. Auch diesmal. Wer schult ihre Sprache weiter? .Der Regisseur dieses Films nicht. Oswald ist ein Hinsteller wies trifft, kein Fortführer, kein Talenterweiterer hier.
So sieht man die Helm vor lauter Oswald nicht immer. Der sich um ein vielbildriges, ausgedehntes Inszenierungssammelsurium bemüht. Stoffgemäß braut er à la Hexenküche. (Goethe, Faust.)
R. Weisbach und Charlie Roellinghoff sind als Autoren bei der Partie. Roellinghoff ist Humorist und Weisbach hat ihn daran nicht gehindert.
Alles soll die Technik für das Auge ausgleichen. So reiht sich aufeinander, was an Publikumswirksamen dem Regiegehirn, während Oswald sich gerade mit der Szene abgibt, einfällt. Improvisation ist alles, Burschenlied aus Heidelberg, Tigerromantik bei Henry Bender, Wedekind -Erdgeist, Gesellschaftsjazz, Pseudoerotik, Sensationsfilmeinfälle . . . Es endet mit einem Professorenskandal, mit Verhaftungen und Selbstmord.
So bei Albert Bassermann, der das greise Gelehrtenhaupt interessant vor der Kamera herrichtet. Man kann an seinen Tonaufnahmen studieren, wieweit das Mikrophon heute Theaterausbrüche, die Bassermann in einigen Szenen mit gewaltigem Gefühlsaufwand bringt, zu registrieren vermag.
Sympathische Typen: Kowal-Saborski, Käthe Haack, Liesl Schaak, Bernhard Goetzke, Bender, dazu ein paar Dienertypen. Und Harald Paulsen, der Mann aus der reineren Sphäre, der seine Rolle mit heiterer Sicherheit rezitiert. (...)
Der Geschäftserfolg, der mit dem Helm-Film von der blonden Lorelei beabsichtigt wird, hängt von der Gläubigkeit des Publikums gegenüber dem tollen Halbdunkel der Leinwand ab.
Man schätze es richtig ein: in diesem Film ist "viel drin". Viel drin – bedeutet immer volles Publikumsinteresse an der Kasse. Und "Alraune"! Und die Helm!
Mit Tonfilm-Entwicklung, mit Filmkunst will es nichts zu tun haben.