Männerpension
Männerpension
Frank Schnelle, epd Film, Nr. 2, Februar 1996
Es war einmal, irgendwo in Deutschland, ein eigenartiger Knast. Zwischen roten Backsteinmauern tummeln sich dort die Originale, Männer mit grobschlächtigen Gesichtern und rüden Umgangsformen, clevere Typen und begriffsstutzige Burschen, derbe Kleinkriminelle und feingliedrige "Politische". Mit phantasievollen Ritualen vertreiben sich die Bewohner dieser Männerpension die Zeit und bringen ein wenig Abwechslung ins tägliche Einerlei. Da wird gezockt und gesungen, da werden Miniaturgartenzwerge kunstvoll bemalt, und gelegentlich findet im Gefängnishof ein Schubkarrenrennen statt, an dem Charlton Heston seine Freude hätte. Hin und wieder schlägt das fröhliche Miteinander in Aggression um, und dann fliegen die Fäuste, was das Zeug hält.
Die Männer auf der anderen Seite des Zauns, auch sie unverwechselbare Sonderlinge, sehen schon mal weg, wenn wieder eine Massenkeilerei im Gange ist; sie wissen, was sie ihren Gästen schuldig sind. Und der junge Gefängnisdirektor hegt gar einen ausgefallenen Plan, mit dem er die Knackis resozialisieren zu können glaubt: Hilfsbereite Frauen sollen ausgewählte Häftlinge für eine Woche bei sich aufnehmen, um ihnen den Weg in die Freiheit zu ebnen.
Für die Zellengenossen Steinbock (Til Schweiger) und Hammer-Gerd (Detlev Buck) ist dies die willkommene Gelegenheit, einmal wieder gemeinsam auf große Sause zu gehen – und sich in komplizierte romantische Abenteuer zu verstricken.
Ein waghalsiges, ganz und gar absurdes Szenario. Detlev Buck pfeift auf die Realität (und auf den sogenannten guten Geschmack) und kreiert seine eigene, unnachahmliche Kinowelt. Grell und bunt geht es darin zu, was durchaus wörtlich zu nehmen ist, denn Buck und sein polnischer Kameramann Slwomir Idziak tauchen die Bilder mittels Farbfilter in irreale Farben und verleihen dem Film so einen stilisierten Look, der die Künstlichkeit, die Märchenhaftigkeit des Gezeigten überdeutlich betont. Man soll, man darf nichts wirklich ernst nehmen an dieser Blödelfarce, in der jede Szene keinen anderen Zweck erfüllt, als skurrile Situationen zu schaffen und möglichst viele Kalauer abzuwerfen, in der alles Spaß und Spiel ist, der reine Eskapismus.
Dass der Film trotzdem nicht zur hohlen Nummernrevue verkommt, liegt an der Frische und Originalität von Bucks Einfällen, an seinem trockenen und pointierten Humor, vor allem aber an der unbändigen erzählerischen Lust, mit der er seine Geschichte in Szene setzt. "Männerpension" strotzt vor verblüffenden visuellen Operationen, man sieht, wie viel Wert der Regisseur auf das Filmische legt, wie er in Bildern denkt und nicht bloß in Dialogen. Die Knastszenen zeugen von einer großen Liebe für den klassischen amerikanischen Gefängnisfilm, dessen Motive die Inszenierung zwar ausschlachtet, aber doch nicht auf parodistische Weise der Lächerlichkeit preisgibt. Beiläufig wird dabei spürbar, dass Buck durchaus physisches, gradliniges Genrekino machen könnte, wenn er nur wollte.
Wenn die beiden Knacki-Protagonisten ihren Hafturlaub antreten, begibt sich der Film – im weitesten Sinne – auf das Terrain der Screwball-Comedy, aber auch hier bleibt Buck vollkommen unberechenbar. Einerseits lässt er Steinbock und Hammer-Gerd wie deutsche Blues Brothers aussehen und agieren, andererseits schockiert er mit überraschenden Gewaltausbrüchen, die noch etwas Komisches haben, wenn der gutmütige, aber jähzornige Gerd ein paar Hühner abknallt, bei denen einem aber das Lachen im Halse stecken bleibt, wenn Gerd die Waffe gegen einen schmierigen Nachtklubbesitzer richtet und tatsächlich abdrückt. "War doch nur ein Wiener", tröstet Steinbock seinen Kumpel, als der wieder hinter Gitter gelandet ist und nun eine zusätzliche Strafe absitzen muss. "Männerpension" mag eine Achterbahnfahrt der Gefühle sein, sentimental ist der Film nie. Und auch wenn Buck hier nicht immer in absoluter Höchstform ist, wiegt diese aberwitzige Lachnummer spielend ein Dutzend deutscher Beziehungskomödien auf.
Am Ende schafft Buck das Kunststück, in ein und derselben Szene Carpenters "Assault on precinct 13" zu zitieren, auf Bressons "Pick-pocket" anzuspielen und alles in einem fröhlichen, von den versammelten Gefängnisinsassen intonierten Ständchen ausklingen zu lassen: Stand by your man.