Das Kaninchen bin ich
Das Kaninchen bin ich
W. B., film-dienst, Köln, Nr. 25, 11.12. 1990
Oberflächlich betrachtet, ist dies eine Allerweltsgeschichte: Junges, unerfahrenes Mädchen aus der sozialen Unterschicht verliebt sich in älteren einflußreichen Mann. Er bietet ihr sein Ferienhaus auf dem Lande als Wohnsitz an, wo der verheiratete Liebhaber seine "Cousine" an jedem Wochenende besucht. Schließlich versucht der Liebhaber, sich durch Tabletten zu töten, die Ehefrau taucht auf, die Liebesgeschichte ist mit viel Tränen, aber auch mit Energie zu einem neuen Anfang zu Ende. So einfach ist die Story aber nicht, was schon daran erkennbar ist, daß der Film 1965 verboten worden ist und erst im November 1989 in Ost-Berlin Premiere hatte.
Die elternlose 18jährige Ost-Berliner Abiturientin Maria Morzeck, die für ihren Lebensunterhalt als Kellnerin jobt, lebt bei einer alten Tante. Wegen einer unbedachten, als staatsfeindlich ausgelegten Äußerung wird ihr Bruder von einem karrieresüchtigen Richter besonders hart zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Sie wird nicht zum Studium zugelassen, weil sie nicht gegen ihren Bruder aussagen will. Bei einem Fest lernt sie Paul kennen, einen älteren, im gesellschaftlichen Umgang erfahrenen Mann, mit dem sie so etwas wie Liebe auf den ersten Blick verbindet. Dann erfährt sie, daß dieser zuvorkommende Mensch jener Richter ist, der ihren Bruder dem wenig menschlichen Strafvollzug überstellt hat. Nun schwankt sie noch mehr, ob sie ihn liebt oder für ihre Zwecke ausnutzen soll. Sie will ihren Bruder nämlich über ein Gnadengesuch aus der Haft befreien. Als sie erkennt, daß ihr Liebhaber sie für seine Karriere als regimetreuer Richter benutzen und sich mit einem Gesuch um Haftverkürzung für den Bruder vor seinen Kollegen profilieren will, geht sie ihren eigenen Weg. Sie bekommt den Bruder frei. Der nimmt ihr aber diese Tat wegen der Liebe zu dem Richter ohne Gewissen übel und mißhandelt sie schrecklich. Durch viele Erfahrungen reifer geworden, macht sie sich selbständig und nimmt nun das Sprachenstudium auf. Sie will nicht länger Kaninchen sein, das vor jeder Gefahr erstarrt. Der das Milieu realistisch zeichnende Schwarz-Weiß-Film erscheint mit seinen 25 Jahren nicht gealtert; er macht sogar den Eindruck, er sei ein Werk der Wende. Kritik am realen Sozialismus, an den Parteiideologien ("Die Partei, die Partei hat immer recht..."), an dem verbogenen Demokratieverständnis, an der Sippenhaftung und den Stasi-Methoden, aber auch an den Lebensbedingungen in einem Einheitsstaat, das war für die Partei in jener Zeit zuviel. Das Zentralkomitee der SED sorgte dafür, daß der Film im "Giftschrank" verschwand. Damit war auch jeder Ansatz zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Fehlformen des Sozialismus‘ in der DDR verhindert.
Gedreht hat Kurt Maetzig ("Ehe im Schatten", 1947; "Die Buntkarrierten", 1949) nach dem Roman "Maria Morzeck oder Das Kaninchen bin ich" von Manfred Bieler. Das war ein Wagnis, war das Buch doch schon verboten. Doch erhoffte sich Maetzig "einen lebhaften Meinungsstreit". Der wäre sicherlich zustandegekommen, denn das Werk entläßt den Zuschauer nicht aus der Spannung. Die Geschichte ist wie ein permanentes Selbstgespräch gestaltet, wodurch etwa Angst, Unsicherheit, Verwunderung oder Entsetzen auf den Gesichtern noch deutlicher werden. Der abrupte Sprung von einer vermeintlich nicht abgeschlossenen Sequenz in eine schon begonnen erscheinende Szene beschleunigt nicht nur das Tempo, er aktiviert auch die innere Anteilnahme des Betrachters. Eine besonders glückliche Hand hatte Maetzig bei der Wahl seiner Darsteller. Jede Rolle ist optimal besetzt, von der einfachen Tante, bis zur mondänen Frau des Richters, die das Leben der Oberschicht in einem sozialistischen Staat repräsentiert. Vor allem prägt sich das Gesicht von Angelika Waller ein; Waller, damals noch ohne Schauspiel-Ausbildung, überzeugt durchgehend.