Das Kaninchen bin ich

DDR 1964/1965 Spielfilm

Inhalt

Die Kellnerin Maria Morzeck darf nicht studieren, weil ihr Bruder wegen "staatsgefährdender Hetze" zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Sie verliebt sich in den wesentlich älteren Paul Deister. Als sie erfährt, dass er der Richter ist, der ihren Bruder verurteilt hat, gerät sie in seelische Konflikte, möchte aber die Situation ihres Bruders und ihre Liebe zu Paul auseinander halten. Das kann nicht gelingen. Allmählich wird ihr klar, dass Paul ein eiskalter Karrierist ist, der auch sie nur zu seinem Vergnügen benutzt. Ihr Bruder – vorzeitig entlassen – erfährt von ihrer Liaison mit seinem Richter und schlägt sie zusammen. Maria kämpft weiter um ihre Zulassung zum Studium.

 

Kommentare

Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!

Heinz17herne
Heinz17herne
„Das Kaninchen bin ich – die da“: Die in ihrer unbekümmerten Schnoddrigkeit frisch von der Leber weg gleich für sich einnehmende Stimme der Ich-Erzählerin gehört zu einer attraktiven jungen Frau mit hochtoupierten langen blonden Haaren: Maria Morzeck (ein Ereignis: Angelika Waller macht diese schier unmögliche Liebes- und Lebensgeschichte glaubhaft) verwandelt sich guten Mutes und ebensolcher Laune in die Kellnerin des „Alt-Bayern“, einer offenbar sehr gut gehenden Restauration mit Tanz in der Hauptstadt der DDR. Obwohl ihr ein Arbeitseinsatz von acht Uhr bis drei Uhr bevorsteht samt üblicher Anmache des männlichen Publikums, ist Maria nicht aus der Ruhe und ihrem inneren Gleichgewicht zu bringen. Was mehr nur als einen guten Grund hat, wie Kurt Maetzigs Verfilmung des gleichnamigen, in der DDR mit Publikationsverbot belegten Romans von Manfred Bieler in Rückblenden verifiziert: Dieses Kaninchen ist ein Stehaufmännchen.

Menschen mit Rückgrat wie Maria haben es in der DDR nicht leicht gehabt, und so ist es auch diesem Film gegangen: Mitte der 1960er Jahre produziert, schon das kommt einer mittleren Sensation gleich, wurde „Das Kaninchen bin ich“ den Teilnehmern am 11. Plenum des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands 1965 vorab gezeigt. Danach verschwand der Film im Pankower Giftschrank und Regisseur Kurt Maetzig sah sich sogar zu einer vom SED-Zentralorgan Neues Deutschland gedruckten Selbstkritik genötigt (da half am 5. Januar 1966 freilich auch kein Zwischen-den-Zeilen-Lesen: Nur die wenigstens ND-Leser kannten den Gegenstand, über den hier verhandelt wurde).

Die 19-jährige Vollwaise Maria, die zusammen mit ihrem um ein Jahr älteren Bruder Dieter („Fixer Junge, bisschen zu fix für die Verhältnisse“) bei ihrer Tante Hete, einer verständnisvollen, gütigen, großherzigen und wenn nötig auch kämpferischen Ersatz-Mutter, wohnt, will die Oberschule mit einer möglichst guten Note abschließen, um Slawistik studieren zu können. Doch daraus wird nichts, nachdem Dieter am 18. Juni 1961, also kurz vor dem Mauerbau, zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt wird – wegen „staatsgefährdender Hetze“. Worin die bestanden haben soll, erfährt die vom Verfahren ausgeschlossene Öffentlichkeit nicht – und damit weder Maria und Tante Hete noch der Zuschauer.

Maria steht zu ihrem Bruder, besucht ihn, wann immer es möglich ist, im Brandenburger Gefängnis. Wird darob aber kein Kind von Traurigkeit, beginnt ein – temporäres – Verhältnis mit ihrem Sportlehrer Ulli und ist auch sonst auf eher reifere Männer abonniert, in denen sie freilich nicht in erster Linie den Ersatz-Vater sieht. „Wir leben in einer großen Zeit“: Zwar hatte schon der Schuldirektor Morzecksche Sippenhaft angedeutet in nahtlosem Übergang des verbrecherischen Nazi-Regimes zur DDR-Klassenjustiz, hatte Maria offenbart, dass sie aufgrund der Inhaftierung ihres Bruders wohl kein Stipendium für die Universität erhalten könne, doch als nach mit „Gut“ bestandenem Abitur der endgültige Ablehnungsbescheid im Briefkasten liegt, bricht für sie eine Welt zusammen noch bevor sie wenigstens einen Teil von ihr zu Gesicht bekommen hat.

Auf dem Flur des Gerichtsgebäudes trifft Maria auf Paul Deister, und damit nicht nur auf den Richter, der ihren Bruder mit einem auch für damalige DDR-Verhältnisse mitten im Kalten Krieg ungewöhnlich harten Urteil hinter Gittern brachte, sondern auch auf einen charmanten älteren Herrn, auf den sie schon jüngst bei einem Konzertbesuch mit Freundinnen aufmerksam geworden war. Und nun geht alles ganz schnell: Erster Kuss im Auto an Weihnachten, Silvester mit dem verheirateten Mann, Paul macht gar keinen Hehl daraus, auf der Datsche janz weit draußen vor den Toren der Hauptstadt. Und bei einer gemeinsamen Autofahrt nach Brandenburg kommt schließlich auch ihre „Wahrheit“ heraus.

Nachdem Maria im „Alt-Bayern“ zusammengebrochen ist, die Ärzte diagnostizieren Spontilose, nimmt sie Pauls Angebot an, sechs Wochen Erholungskur in seiner Grambower Laube an der Ostseeküste zu verbringen. Mit regelmäßigen Besuchen seinerseits an den Wochenenden. Dieters Haft bleibt unterschwellig ein Thema, aber alle Versuche Marias, etwas über die näheren Umstände der Tat ihres Bruders herauszufinden, versanden – und das ist wörtlich zu nehmen am idyllischen Erholungsort. Aus Wochen werden Monate. Bis es zu einem Vorfall im Dorfgasthof, in dem Maria aushilfsweise kellnert, kommt, bei dem Paul erneut als Jurist gefragt – und als Mensch gefordert ist. Etwa vom nonkonformen Grambower Bürgermeister und Parteigenossen. Doch Paul, der sich in den eigenen vier Wänden den „Schmus über die internationale Lage“ gern erspart, womit die Phraseologie der SED-Ideologen, welche vermeinten, allem den Stempel ihrer Parteilichkeit aufrücken zu müssen, gemeint ist, ist viel zu ehrgeizig, um sich eine Chance zur eigenen Profilierung entgehen zu lassen.

Ganz dem Muster des Berliner Prozesses gegen Dieter Morzeck entsprechend soll ein Fischer verurteilt werden, der wohl nicht zufällig Grambow heißt wie der Ort des Geschehens. In betrunkenem Zustand hat er seinem Hass gegen die Grenztruppen der Nationalen Volksarmee, welche ihn durch eine Pionier-Übung um den Fangertrag eines ganzen Jahres gebracht haben, Ausdruck verliehen. Das Kaninchen, über die Teilnahme der Öffentlichkeit an dem von einem Richter ganz anderer Art geleiteten Verfahren erstaunt, verlässt den schützenden Bau und sagt zugunsten des Fischers aus, danach wagen sich auch andere aus der Deckung wie der Vorsitzende der Fischereigenossenschaft. Und nun offenbart Paul Deister endgültig sein wahres Ich: Er hängt sehr flexibel sein Fähnchen in den Wind und legt Recht und Gesetz stets für eigene Zwecke aus, benutzt die Angeklagten als wehrlose Opfer in diesem todernsten Spiel.

Das Maria nun endlich durchschaut hat: Das Kaninchen kehrt nach Berlin zu Tante Hete zurück. Als Dieter endlich aus dem Gefängnis entlassen wird, könnte für alle eine neue Zeit anbrechen. Doch er hat von Marias Liaison mit „seinem“ Richter erfahren. „Wie die Schlange und das Kaninchen – und das Kaninchen bin ich“: Es ist ein langer Weg bis zum festen Entschluss Marias, sich nicht mehr das Fell über die Ohren ziehen zu lassen. Übrigens hat es am Rande dieses Weges auch eine Begegnung mit Pauls Gattin Gabriele Deister gegeben mit der Szene, die dem Film seinen Titel verlieh...

„Das Kaninchen bin ich“ sollte 1965 in die Kinos kommen und damit in der Zeit einer neuen – kulturellen - Aufbruchstimmung in der DDR gemäß den im Jahr zuvor vom für den Film zuständigen Minister Günter Witt geforderten „ernstzunehmenden Kunstwerken“: Die Defa solle sich auf „Problemfilme mit beachtlichem sozialkritischem Akzent“ konzentrieren. Das Thema SED-Klassenjustiz war damit offenbar nicht gemeint: Der neue, mehrfach im Film erwähnte DDR-Rechtspflegeerlass hat für öffentliche Gerichtsverhandlungen wie die im Grambower Dorfwirtshaus gesorgt. Dabei wird das Umfeld der am Verfahren Beteiligten durch gesellschaftliche Einrichtungen wie Konfliktkommissionen und Beiräte, in denen Vertreter von Kollektiven, Betrieben, Schulen und Jugendverbänden zu Gehör kommen, einbezogen.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Regie

Regie-Assistenz

Dramaturgie

Kamera

Kamera-Assistenz

Standfotos

Licht

Requisite

Kostüme

Schnitt

Darsteller

Produktionsleitung

Aufnahmeleitung

Dreharbeiten

    • 1964: Berlin, Ostsee
Länge:
3113 m, 114 min
Format:
35mm, 1:1,37
Bild/Ton:
s/w, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 28.05.1991, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 13.12.1989, Berlin, Akademie der Künste der DDR;
Aufführung (DD): 08.03.1990, Berlin, International

Titel

  • Originaltitel (DD) Das Kaninchen bin ich

Fassungen

Original

Länge:
3113 m, 114 min
Format:
35mm, 1:1,37
Bild/Ton:
s/w, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 28.05.1991, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 13.12.1989, Berlin, Akademie der Künste der DDR;
Aufführung (DD): 08.03.1990, Berlin, International

Prüffassung

Länge:
3327 m, 121 min
Prüfung/Zensur:

Zensur: 1965 [Hauptverwaltung für Film];
Zensur (DD): 26.10.1965