Sanssouci
Der König Friedrich und der Märtyrer Karl
Willy Haas, Film-Kurier; Nr. 98, 2.5.1922
Der Cserépy-Film "Fridericus Rex" tut im Osten von Berlin etwas, was man leider nicht ganz unzutreffend mit der juristischen Phrase "Erregung öffentlichen Ärgernisses" bezeichnen könnte. Es hat keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken und den Vogel Strauß zu spielen – es ist eben einmal so, und wir wollen darüber ernsthaft sprechen.
Der "Vorwärts" hatte es vorausgesagt. Hat er es durch diese Voraussage auch provoziert?
Was er vielleicht wirklich verschuldet hat, daß man den Film im Osten überhaupt durch politische Augengläser angeschaut hat. Im Westen geschah das allerdings auch ohne Hinweis der Presse: denn es kann natürlich kein Zweifel bestehen, daß der ungeheure allabendliche Beifall im "Ufaplast" nicht nur den künstlerischen Leistungen gegolten hat. Im Osten dagegen wäre es vielleicht zu vermeiden gewesen. Da es aber eben nicht vermieden wurde, so muß, um der Gerechtigkeit willen, gesagt werden, daß wir jene Tumulte und spontanen Mißfallenskundgebungen um die Frankfurter Allee ebensowenig für oktroyiert oder gar für bezahlt halten, wie das Beifallsrauschen am Zoo. Beide waren echt. … (...)
Die republikanische Filmprüfstelle Berlin hat den "Fridericus" anstandslos durchgelassen. Das ist recht, das ist gut, das ist ganz in Ordnung! Das deutsche Volk ist hoffentlich reif genug sich selbst sein Urteil über die politische Zufälligkeit oder Unzulässigkeit eines Films zu bilden!
Schön. Dieselbe republikanische Filmprüfstelle würde also doch wohl auch einen Film durchlassen, der etwa, auf Grund gerichtlicher Aktenstücke, ebenso einwandfrei sachlich, den Tod Karl Liebknechts unter dem Titel "Carolus Martyr" behandelte?
Selbstverständlich würde sie das tun! Natürlich würde sie es! Welche Frage! Fräulein von Gierke etwa wäre seinerzeit entzückt gewesen, die öfter geäußerten Bedenken des "Film-Kurier" endlich durch einen heroischen Akt parteiloser Sachlichkeit ein- für allemal widerlegen zu können!
Oder etwa nicht? Wäre man am Ende imstande, einen solchen Film zu verbieten? Mit der Begründung, er sei geeignet, Anstoß zu erregen und die öffentliche Ordnung zu stören? Das deutsche Volk ist doch reif genug, sich sein politisches Urteil selbst …?! Oder nicht??
Na mich gehts schließlich nichts an. Ich bin kein Kommunist, und es ist mir egal und wurst, ob die Berliner Filmprüfstelle einen solchen Film durchließe oder nicht. Ich meine nur so, rein theoretisch, zum Spaß, ohne jedes persönliche Interesse – – –
Kurz ich glaube ein solcher Film würde von der hochlöblichen republikanischen Zensur des Deutschen Reiches verboten werden. Ich glaube das sogar ganz, ganz sicher. …
Welchen kulturpolitischen Sinn hat also eine derartige Filmprüfstelle? Ist es ihre Aufgabe, das "öffentliche Ärgernis" zu verhüten? Das ist eine sehr schwere Aufgabe. Wie kann sie das tun? "Fridericus": im Westen rasender Beifall; im Osten Skandal: "Carolus Martyr": im Osten rasender Beifall, im Westen totsicherer Skandal.
Erste Möglichkeit: Verbieten: Falsch! Der Film ist sachlich einwandfrei; hat im Westen (im Osten) ungeheure Geschäftschancen. Die Zensur hat keine sachliche Unterlage, dem Fabrikanten dieses Geschäft zu verderben. Vielleicht, wenn er verspräche, den Film im Osten (im Westen) nicht rollen zu lassen. …??
Also, zweite Möglichkeit: Zulassen. Auch falsch! Wer sagt, daß der Fabrikant sein Versprechen hält? Niemand kann ihn zwingen: Dann ist der Skandal im Osten (im Westen) sicher. …
Dritte Möglichkeit: auf die ist der Zentrumsabgeordnete Dr. Schreiber bei der Budgetdebatte gekommen: radikale Dezentralisierung der Filmzensur unter Berücksichtigung landschaftlicher, provinzialer, örtlicher und doch wohl auch sozialer Sondermoralanschauungen.
Jedes Land, jede Provinz ihr eigener Filmzensor! (...)
Beim Himmel, wir haben weniger als nichts dagegen einzuwenden! Im Gegenteil: wir möchten auf dem Wege des Herrn Dr. Schreiber nur konsequent weitergehen: Nicht nur die Landschaft, der Stamm, die Provinz, die Klasse, hat ein Anrecht auf Beachtung ihrer individuellen Moralbegriffe; sondern jeder Einzelne hat dieses Recht.
Wir glauben also, die volle Sympathie der Zentrumspartei und speziell ihres Sprechers Dr. Schreiber zu haben, wenn wir ihren Kampfruf in seiner letzten notwendigen Konsequenz übernehmen: "Jeder Deutsche sein eigener Filmzensor!" Fort mit einer Zensur überhaupt, die das öffentliche Ärgernis fünf Kilometer von ihrem Standort nicht verhüten kann, geschweige denn das öffentliche Ärgernis hundert Kilometer von ihrem Standort!
Das ist die vierte, die einzig richtige Lösung! (...)